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lebt gefaehrlich

lebt gefaehrlich

Titel: lebt gefaehrlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Minuten auf Sabahat gewartet hatte, verlor er die Geduld. Sie hatte ihm aufgetragen, im Cafe auf sie zu warten, weil er dort nicht so sehr den Blicken neugieriger Passanten ausgesetzt war. Andererseits aber hatte sie ihn darauf aufmerksam gemacht, daß anatolische Frauen niemals ein Cafe betreten. Er mußte also durch das von Fliegen beschmutzte Fenster schauen, um sie zu sehen. Untätig hockte er auf einer Bank unweit der Tür, spielte nervös mit dem Personalausweis in seiner Tasche und mit dem inzwischen wieder aufgeklebten Schnurrbart.
Er hätte schwören können, daß seit seinem Eintritt keiner der Männer um ihn herum auch nur mit einer Wimper gezuckt hatte. Zwei Männer spielten in einer Ecke Schach. Die anderen hockten reglos wie die Götzen da, starrten ins Nichts und hielten ihre Wasserpfeifen im Mund. Wenn Colin versehentlich in eine Opiumhöhle gestolpert wäre, hätte es dort auch nicht anders aussehen können.
Dann betraten zwei neue Gäste das Cafe. Ihnen folgte ein dritter.
Gebannt verfolgte Colin, wo sie Platz nehmen würden. Der erste nickte weder, noch sagte er ein Wort, sondern verzog sich in einen Winkel und versank in Schweigen. Der zweite setzte sich und entfaltete eine Zeitung. Der dritte sagte klar und deutlich »Raki«.
Colin stockte der Atem. Der Mann, der eben die Stille entweiht hatte, war sein Onkel Hu. In seinem gewohnten verschossenen, blauen Hemd und den Khakishorts stand er da und sah sich nach eine m Gesicht um, das ihn interessieren könnte. Colins erster Instinkt befahl ihm, unter den Tisch zu rutschen und sich zu verstecken. Dann fiel ihm ein, daß er verkleidet war. Gelangweilt erwiderte er den Blick seines Onkels.
Diesmal jedoch hätte er sich verstecken sollen. Das geübte Fotografenauge seines Onkels glitt über ihn hinweg - und kehrte wieder zu ihm zurück. Sein Rakiglas in der Hand, schlenderte Onkel Hu im nächsten Augenblick herbei und setzte sich an den Tisch neben Colin.
Onkel Hu erkundigte sich freundlich: »Würdest du mir vielleicht verraten, was, zum Teufel, du mit diesem lächerlichen Schnauzbart in Yozgat verloren hast?«
»Ich möchte natürlich nicht zudringlich sein«, fuhr sein Onkel sanft fort, »aber ich habe eben eine der schlimmsten Nächte meines Lebens im hiesigen Gefängnis verbracht. Anscheinend wird jeder, der einen Wagen der Firma Ramsey fährt, von der Polizei aufgehalten, durchsucht und festgenommen, bis mit der Istanbuler Polizei Rücksprache gepflogen wurde. Man hat mich zwar endlich laufen lassen, weil die Beschreibung des jungen Mannes mit dem sandfarbenen Haar, der polizeilich gesucht wird, nicht auf mich paßt. Angeblich reist er in Gesellschaft einer Frau, die wegen Mordes in Istanbul verhört werden soll.«
Resigniert sagte Colin: »Gehen wir nach draußen.«
»Aber gern«, sagte sein Onkel. Beide standen auf.
Nach dem Dämmerlicht blendete sie die grelle Sonne. »Wie hast du mich denn erkannt?« fragte Colin verzagt.
Sein Onkel sagte vernichtend: »Mein lieber Junge, du bist schließlich mein Neffe. Nein, sieh mich nicht so erschrocken an. Außer mir erkennt dich bestimmt niemand. Ich habe ein erstaunliches Personengedächtnis, weißt du. Als ich dich sah, da dachte ich mir: ›Das sind Colins Backenknochen und Augen. Überhaupt sieht der Mann genau wie ein Colin in Bauerntracht mit Schnurrbart aus.‹ Und jetzt erzähle mir, was, zum Teufel, du eigentlich angestellt hast, während ich in Erzurum bin.«
Sie setzten sich vors Cafe auf eine Bank. »Das war nämlich so, Sir - ich muß mich kurz fassen: drei Freunde von mir sind in Yozgat entführt worden und befinden sich etwa eine Meile von hier entfernt in einem Haus.«
»Soso. Und du mußt sie natürlich rausholen«, sagte sein Onkel, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Ja, Sir«, sagte Colin grinsend.
»Eine dieser - hm. Freunde - ist die angebliche Mörderin, die von der Polizei gesucht wird?« fragte er.
»Ja, Sir, nur hat sie niemanden ermordet, Onkel Hu. Ich war selbst dabei, als man Henrys Leiche im Studio abgelegt hat - in deinem Studio...« Er gab es auf. Wie konnte er seinem Onkel auch nur annähernd erklären, was sich in den letzten beiden Tagen ereignet hatte? »Es ist alles ziemlich kompliziert«, sagte er ratlos. »Könntest du nicht so tun, als hättest du mich nicht gesehen, und zurück nach Istanbul fahren?«
Sein Onkel überlegte den Vorschlag. »Sicher«, sagte er nachdenklich, »aber nicht, ohne vorher deine Pläne gehört zu haben. Du hast doch Pläne gemacht, oder?«

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