Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
»Der Vertrag zwischen dem Korval-Clan und der Familie Fasholt reicht zurück bis zu den Lebzeiten unserer Großmütter. Darin heißt es, sofern mein Gedächtnis mich heute nicht im Stich lässt: ›Zwischen Petrella yos’Galan oder Bevollmächtigen und Tuleth Fasholt oder Bevollmächtigten« Er deutete ein Achselzucken an und lächelte. »Beide Parteien dürfen sich durch Beauftragte vertreten lassen.«
»Das weiß ich sehr wohl«, räumte sie ein. »Der Passus schien Anlass zur Hoffnung zu geben, so sah ich das auch.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich trug den Fall vor und führte obendrein aus, dass es auf vielen anderen Welten üblich ist, Männer und Frauen gleichberechtigt zu behandeln.« Sie zog eine Grimasse. »Die Dreifach-Gesegneten ließen sich auf keinen Disput ein. Sie drückten sich klar und deutlich aus: Handel ist nur mit den Familien oder Schiffen gestattet, die jetzt von Frauen geführt werden. Nur weil Außenweltler abartigen Sitten frönen, ist dies für uns kein Grund, diese Perversitäten zu unterstützen.«
»Aber die Göttin schuf uns doch alle nach ihrem Ebenbild«, warf Shan ein.
»Das sind ketzerische Gedanken, Shannie!«
Priscilla ergriff das Wort. »Was Shan yos’Galan sagte, gilt bei mir zu Hause als Dogma. Ich komme von Sintia.«
Die ältere Frau lächelte traurig. »Wir befinden uns aber nicht auf Sintia, Schwester. Hier befolgen wir die Dekrete des Tempels. Wer aufmuckt, wird gnadenlos bestraft. Man trennt Mütter von ihren Töchtern, Schwesternschaften werden auseinandergerissen, und man verbannt die Frevlerinnen in den hintersten Winkel des Planeten.«
Priscilla hob eine Hand und malte ein schützendes Zeichen in die Luft. Es bedeutete, die Göttin möge derlei Unbill verhüten. Lomar nickte.
»Ich hoffe auch, dass es nicht zum Schlimmsten kommt. Aber anscheinend gehen in diesem Leben nicht alle meine Wünsche in Erfüllung. Bei der nächsten Umdrehung des Schicksalsrades ist mir vielleicht mehr Glück beschieden.«
»So möge es sein«, murmelte Priscilla, und Lomar beugte demütig ihr Haupt.
Shan räusperte sich. »Erlauben es denn die … Dreifach-Gesegneten, dass ich mit dir über ein Thema spreche, das ein Mitglied meiner Crew betrifft? Es geht um Lady Faaldom, Oberhaupt ihrer Familie – und eine Frau! Priscilla kann meine Aussage bestätigen. Oder sollen wir uns lieber verabschieden?«
Sie musterte ihn skeptisch. »Berührt dieses Thema wirklich Lady Faaldom, Shannie? Wieso kam sie dann nicht selbst hierher, um mit mir zu diskutieren?«
Priscilla fand, er sähe ein wenig pikiert aus. »Selbstverständlich gehört die Fracht, von der hier die Rede ist, Lina Faaldom. Hatte ich das nicht erwähnt? Und nun zu der Frage, warum sie nicht persönlich vorspricht. Warum sollte sie? Ich bin ein Meister des Handels, sie ist Bibliothekarin. Es ist nur vernünftig, wenn ich in einer kaufmännischen Angelegenheit für sie eintrete.«
Lomar wiegte bedächtig den Kopf. »Wenn Sie auf deinem Schiff dient, Shannie, dann sind mir die Hände gebunden -egal, ob sie das weibliche Oberhaupt ihrer Familie ist oder nicht. Gesetz ist Gesetz. Ich wage nicht, es zu übertreten.«
In einer Aufwallung von ernsthafter Besorgnis beugte Shan sich vor und streckte seine Hand über den Schreibtisch. »Lomar, verlasse diese Welt. Ich nehme dich mit.«
Sie ergriff seine Hand und tätschelte sie liebevoll. »Was bist du doch für ein guter Junge, Shannie! Aber ich bleibe hier. Es wird sich schon wieder zum Besseren wenden.«
»Nein, das wird es nicht!«, rief er. »Du und ich wissen genau, dass es immer ärger wird. Der Tempel verbietet den Handel mit der halben Galaxis. Das ist verrückt, es kommt einem Selbstmord gleich. Ihr werdet alle verhungern … wenn ihr Glück habt. Und falls nicht, dann lebt ihr in einer Gesellschaft, die die Hälfte der Bevölkerung versklavt! Lomar, was passiert, wenn Sklaven merken, dass ihre Gebieter Schwächen haben?«
»Dann gibt es einen Aufstand«, warf Priscilla ein. Sie spürte, wie eine unheilvolle Vorahnung sie beschlich. »Krieg, Mord, Tod.«
»Ich habe mich mit Geschichte befasst, Schwester.« Lomar seufzte und streichelte abermals Shans Hand. »Wie stellst du dir das vor, Shannie? Soll ich auswandern ohne einen Bit, sodass ich mir nicht mal einen Reiseführer kaufen kann?
Meine Vermögenswerte müssten liquidiert werden. Das erfordert Zeit, eine sorgfältige Planung. Und was würde aus meinen Töchtern? Nein, eine Flucht kommt nicht in Frage. Noch
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