Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
nebeneinander gehen konnten. Es duftete nach Zimt, Harz und Leder; sie holte tief Luft und hielt den Atem einen Augenblick lang an, ehe sie ihn seufzend ausblies.
Gordy grinste. »Wir befinden uns im Laderaum Nummer Sechs«, erklärte er. »Der Ort im gesamten Schiff, an dem es am besten riecht.« Er zeigte mit dem Finger in eine bestimmte Richtung. »Dort liegt das Büro des Cap’n.«
Priscilla sog den Atem scharfein und biss sich auf die Lippe, als ein stechender Schmerz ihren Kopf durchbohrte.
Ich brauche mich vor nichts zu fürchten, sagte sie sich resolut. Der Captain möchte ein Vorstellungsgespräch führen. Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass er keinen Posten zu vergeben hat. Dann bleibt immer noch Zeit genug, einen anderen Weg zu finden, wie ich nach Arsdred gelange.
Gordy legte seine Hand gegen die Meldeplatte, die in die knallrote Tür eingelassen war. Es ertönte ein Glockensignal, gefolgt von einem gedämpften Herein.
Die Tür glitt auf.
Gleich hinter dem Jungen trat Priscilla über die Schwelle; dann blieb sie jählings stehen und riss vor Staunen die Augen auf. Unverhohlen gaffte sie in die Runde.
Abermals fand sie die Größe des Raums schier überwältigend. Eine Wand war angefüllt mit Regalen, auf denen sich Buchdisketten, gebundene Bücher und Musikbänder häuften. An einer anderen Wand hing ein Gobelin in dunkelroten, mattgoldenen, jadegrünen und azurblauen Tönen, ein verschlungenes geometrisches Muster, das beruhigend und anregend zugleich wirkte.
Darunter befand sich eine Bar, an einer Seite flankiert von einem Regal voller Bänder und allerhand Kinkerlitzchen. Mitten im Raum stand ein Schreibtisch aus Holz mit einem Computer-Bildschirm und zwei unordentlichen Stapeln Papier; vor dem Pult luden zwei Stühle zum Sitzen ein. Links vom Schreibtisch sah man eine geschlossene Tür mit einem diagonalen roten Streifen.
In der nächstgelegenen Ecke duckte sich ein tiefer, gemütlich aussehender Sessel; daneben, auf dem Teppich, türmten sich in einem wirren Durcheinander Bücher und ein Skizzenblock. Ein niedriger Beistelltisch beherbergte noch mehr Bücher. Auf einem zweiten Tischchen war ein Schachspiel aufgebaut. Komplettiert wurde die Sitzgruppe durch ein Sofa, und auf dessen äußerstem Rand, über das Schachbrett gebeugt, hockte ein weißhaariger Mann in einem dunkelblauen Hemd.
Der Captain war alt. Aus irgendeinem Grund fiel Priscilla das Atmen plötzlich leichter.
Gordy Arbuthnot ging an den Tisch und räusperte sich.
»Cap’n?«, begann er auf Terranisch. »Ms. Mendoza wünscht Sie zu sprechen.«
»Was, sie ist schon hier? Pilotin Dyson hat sich mal wieder selbst übertroffen.« Der Mann seufzte und betrachtete kopfschüttelnd die Schachfiguren. »Ich glaube, für diese dämliche Position gibt es keine Lösung.«
Er stand auf und trat ein paar Schritte vor, ehe er seinen Kopf neigte. »Ich bin Shan yos’Galan, Ms. Mendoza.«
Der Captain war groß – für einen Liaden ein wahrer Hüne. Aus seinen silberfarbenen, mit dichten schwarzen Wimpern eingerahmten Augen blickte er ihr offen ins Gesicht. Jetzt sah sie, dass er keineswegs alt war – durch das schneeweiße Haar hatte sie sich täuschen lassen. Seinen Gesichtszügen nach konnte er nicht viel älter sein als sie selbst.
Und was für ein Gesicht er hatte! Kräftige Nase, ausgeprägte Wangenknochen, ein großzügiger Mund; dazu eine hohe, breite Stirn, ein dreieckiges Kinn, und über den großen Augen schmale, schräg stehende, weiße Brauen. Außer einem Angehörigen aus dem Volk der Yxtrang konnte sie sich niemanden vorstellen, der einem Liaden, die normalerweise zarte, feine Gesichtszüge besaßen, unähnlicher sah als dieser Mann.
Mit einem Ruck riss sie sich zusammen und verbeugte sich steif nach Art der Terraner. »Captain yos’Galan«, grüßte sie, jedes Wort präzise betonend, »ich freue mich, Sie zu sehen.«
»Nun, wenn das stimmt, dann gehören Sie zu dem kleinen Kreis der Personen, auf die das zutrifft«, kommentierte er. Er sprach mit dem Akzent der gebildeten Oberschicht von Terra; keine Spur eines Liaden-Dialekts. »Obwohl Mitglieder meiner Familie sich in ähnlicher Weise ausdrücken. Natürlich hatten diese Leute Zeit genug, sich an mich zu gewöhnen. Gordy, Ms. Mendoza hätte gern etwas zu trinken. Obendrein vermisse ich mein eigenes Glas – und wo immer es sein mag, es dürfte vermutlich leer sein. Wofür bezahle ich dich eigentlich?«
Der Junge grinste und flitzte an die Bar. Dort
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