Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
krallenbewehrte Pfote aus und hakte sie in eine Falte von Priscillas Blusenärmel.
»Dachtest du, ich hätte dich vergessen?«, fragte Priscilla, als er in ihre Hand kletterte. Master Frodo rieb sein Köpfchen an ihren Fingern.
Lächelnd setzte sich Priscilla das winzige Tier auf die Schulter. Master Frodo stellte sich auf die Hinterbeine, mit einer Tatze hielt er sich an den Locken über Priscillas Ohr fest, mit der anderen nahm er in feierlichem Ernst Getreidekörner entgegen und stopfte sie in seine Backentaschen.
»Heute werde ich im Tower arbeiten«, erzählte Priscilla, während Frodo sein Frühstück mampfte. »Um zwölf Uhr soll ich mich bei Tonee sig’Ella zum Dienstantritt melden.«
Ihr Kumpan ließ sich nicht zu einer direkten Antwort herab, doch indem er fröhlich sein Futter vertilgte, tat er kund, dass Tonee sig’Ella keine üble Person war, und von Norbären, die etwas auf sich hielten, respektiert wurde.
Da Priscilla sich anhand der Ausleihdaten davon überzeugen konnte, dass Tonee sich häufig um die Norbären kümmerte, brauchte sie sich über diese günstige Beurteilung nicht zu wundern. Trotzdem dankte sie Master Frodo für seine Empfehlung und kraulte ihn liebevoll zwischen den Ohren, ehe sie ihn in sein Gehege zurücksetzte.
Mit einem leisen Seufzer machte er es sich auf dem sandigen Boden bequem, drehte das Köpfchen und blickte nach oben, eine Pfote bittend in die Höhe gereckt.
Priscilla schmunzelte. »Nein, für heute ist es genug«, sagte sie und rieb mit einem Finger vorsichtig sein Bäuchlein. »Du bist ohnehin schon zu fett.«
Master Frodo gab zu erkennen, dass bei Norbären eine gewisse Körperfülle als attraktiv galt, egal was Priscilla denken mochte. Er war natürlich viel zu höflich, um es auszusprechen, aber er fand, sie könne ruhig ein bisschen mehr Körnerfutter vertragen.
Gefangen in dem imaginären Dialog, schüttelte sie den Kopf. »Ich war schon immer dünn«, erklärte sie, klappte die Luke zu und verriegelte sie.
Abermals schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Ich führe Selbstgespräche wie eine Seherin, dachte sie bei sich. Wenn jemand mich dabei erwischt, lande ich in der Krankenstation, ehe Master Frodo etwas zu meiner Entlastung vortragen kann.
Doch dieser Gedanke bereitete ihr keine Kopfzerbrechen. Tatsächlich hatte Lina sie vor kurzem dabei ertappt, wie sie sich mit Master Frodo unterhielt. Die Liadenfrau hatte lediglich an einem runden Ohr des Norbären gezupft und Priscilla gewarnt, sie solle sich von Master Frodo nicht dazu überreden lassen, ihm Extra-Rationen zu gewähren.
»Der hier ist ein richtiger Schelm«, hatte Lina behauptet und über die Kapriolen des Tieres gelacht. »Lass dich nicht von ihm um den kleinen Finger wickeln. Wenn du erst einmal nachgegeben hast, nutzt er dich schamlos aus.«
Durch eine Seitentür verließ Priscilla den Streichelzoo und gelangte von dort aus direkt in die Bibliothek. Lina saß an ihrem Pult und starrte stirnrunzelnd auf den Monitor; doch als sie Priscilla gewahrte, blickte sie lächelnd hoch. Priscilla stockte der Atem, denn an so viel Herzlichkeit und aufrichtige Freundschaft hatte sie sich immer noch nicht gewöhnt. »Alle sind versorgt«, meldete sie und rang darum, ihr inneres Gleichgewicht wiederzugewinnen. »Ich gehe jetzt zum Tower.«
»Ach so. Richte Tonee meine Grüße aus. Während dieser Reise sind wir uns kaum begegnet.« Sie griff nach Priscillas Hand. »Sollen wir zusammen frühstücken, meine Freundin?«
»Ja, gern.« Sie holte tief Atem, um ihr wild hämmerndes Herz zu beruhigen.
Lina lächelte erfreut. »Wir sehen uns dann beim Frühstück. Lass es dir gut gehen, Priscilla.«
»Lass es dir gut gehen, Lina.«
Der Tower, eine Kuppel im Mittelteil des Schiffs, lag sechs Etagen höher als die Bibliothek; sechs Decks darunter befand sich akkurat die gleiche Kuppel, die die Hauptbrücke beherbergte. Priscilla stieg in einen Lift, tippte das Ziel ein und lehnte sich dann in eine Ecke der Aufzugskabine.
Verwalterin des Streichelzoos. Bis jetzt hatte sie hier nur eine einzige Schicht hinter sich gebracht. Wenn sie aufwachte, stand ihr Einsatzplan auf dem Monitor in ihrer Kabine; man ließ ihr mehr als genug Zeit, sich um die Bedürfnisse der ihr anvertrauten Tiere zu kümmern.
Danach schickte man sie anderswohin: in die Wartungshalle, um dem schlaksigen Seth beim Überholen einer Maschine zu helfen, in die Küche, wo sie als Assistentin der zänkischen BillyJo fungierte, in die
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