Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Sekunden, bis es anfangen würde zu regnen. Als Leonardo den Regenzurückhalter betätigte, verflüchtigten sich die dicken dunklen Wolken und machten blauem Himmel Platz.
»Drückt man dagegen auf den grünen Knopf, kann für nichts garantiert werden.« Er drückte auf den grünen Knopf, und binnen weniger Augenblicke wurde der Himmel wieder tiefschwarz. Ein Tropfen fiel auf mein Gesicht.
»Bitte nicht!«, schrie ich. »Halt es an!«
»Was kriege ich dafür?«
Noch ein Tropfen. Dann ein weiterer. »Alles! Alles was du willst!«
»Okay. Ich will achtzig Prozent Beteiligung an deinem Bestseller.«
»Zwanzig!«
»Fünfzig.«
Aus dem Tröpfeln wurde Regen.
»Abgemacht!«, schrie ich.
Anscheinend war er zufrieden mit dem Deal, denn er beugte sich über mich und drückte mir einen Schmatzer auf die Stirn. »Alles Gute zum Geburtstag. Willst du ein Ei zum Frühstück?«
»Gah«, machte ich stöhnend.
»Sie will!«, rief Leonardo.
»Frag sie nach Kaffee oder Tee«, rief eine resolute Stimme, die mir auf unangenehme Weise bekannt vorkam.
Eine imaginäre Schlagzeile manifestierte sich vor meinem geistigen Auge.
Mit dem Besuch hielt das Grauen Einzug.
»Willst du Kaffee oder Tee?« Leonardo verflüchtigte sich, und vor dem Sofa, auf dem ich geschlafen hatte, stand mein Sohn Benedikt und blickte mich fragend an.
»Gah.«
»Beides!«, rief Benedikt in Richtung Küche.
»Schon in Arbeit«, kam es zurück.
Sofort saß ich senkrecht im Bett beziehungsweise auf dem Sofa. Das war … nein, das war nicht möglich, oder?
»Wer ist das?«, krächzte ich. Vielleicht irrte ich mich, und es waren nur die Nachwehen des Albtraums.
Doch dann wehte mich ein Duft von Kuchen und frischem Kaffee an. Und auf einmal stand sie leibhaftig in der offenen Wohnzimmertür. Meine Schwiegermutter Helga.
»Alles Gute zum Geburtstag!«
*
Wenn ich meine Schwiegermutter mit zwei Worten beschreiben müsste, wäre meine erste Wahl Lieber nicht . Passend wäre natürlich noch perfekte Köchin . Oder meisterhafte Bügelfee . Oder toughes Sparbrötchen .
Weil sie am anderen Ende von Deutschland wohnte, musste ich mich nicht allzu oft mit ihrem zupackend kompetenten Wesen auseinandersetzen. Sie kam zu Weihnachten und blieb zwei Tage, dasselbe an den Geburtstagen der Kinder, das war gleichsam Gewohnheitsrecht, dazu musste sie nicht erst eingeladen werden. Insgesamt waren das acht Tage pro Jahr, die gerade noch zu ertragen waren. Jedes Mal, wenn sie wieder abreiste, hatte sie alle Schränke im Haus bis in den kleinsten Winkel ausgeräumt, gründlich ausgewaschen und wieder eingeräumt, ungefähr eine Tonne Wäsche gebügelt, massenhaft Knöpfe angenäht und ungezählte Socken gestopft. Sogar die aus der Kiste, in der ich einzelne Socken sammelte, für den Fall, dass die auf unerklärliche Weise verschwundenen Gegenstücke irgendwann wieder auftauchten.
Sie taute den Gefrierschrank ab, mistete das Gewürzregal aus, saugte die Matratzen ab, legte Zeitungspapier oben auf die Küchenschränke und kochte für mindestens drei Monate Mahlzeiten vor, die sie dann im frisch geschrubbten Gefrierschrank für uns einfror. Sie zauberte aus einem trockenen Brotkanten, einer vertrockneten Zwiebel und zwei alten Eiern ein leckeres Mittagessen, bastelte aus Gartenabfällen hübsche Tischdekorationen, kochte Marmelade ein, feilschte im Supermarkt um Nachlass für schrumplige Äpfel und benutzte leere Margarinedosen zum Eintuppern von Essensresten. Kurz: Sie war die wandelnde heilige Hausfrau. Und meine Nemesis.
Kombiniert war diese ganze geballte Tüchtigkeit nämlich mit einem Naturell, das jeden Kompaniechef vor Neid erblassen ließ. Kaum erschien sie auf der Bildfläche, hörte alles auf ihr Kommando. Widerspruch war zwecklos (nicht, dass irgendwer aus meinem Umfeld es je versucht hätte!), vor allem, wenn sie es für angebracht hielt, mich und die Kinder einzuspannen, um ihrem phänomenalen Ordnungssinn Geltung zu verschaffen. Auch äußerlich wies sie feldwebelartige Züge auf, mit ihrem eisengrauen kurzen Haar und ihren kastenartig geschnittenen Kostümen, die aussahen, als ob daran nur noch das militärische Rangabzeichen fehlte.
»Hallo Helga«, sagte ich.
*
Oma Helga und Timo hatten bereits eine Geburtstagstorte gebacken, zweistöckig und mit einer großen 45 aus gelbem Zuckerguss.
»Wir wollten dich ausschlafen lassen«, sagte Timo. Er war frisch gewaschen und gekämmt, genau wie Sophie und Benedikt. Alle saßen um den ordentlich gedeckten
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