Lehmann, Christine
oder schlichter Neugier, zur Tür herein, sondierte die Lage, nahm beherzt das kreischende Scheißwürstchen zwischen beide Hände und trug es ins Badezimmer. R i chard wankte einen Moment, dann raffte er frische Wi n deln, Höschen, Hemdchen und Strampler und folgte ihr.
Wie sie es machten, wollte ich nicht wissen.
Zumal mir einfiel, dass ich den Computer unten offen hatte stehen lassen. Ich sprang mit einem Satz die Treppe hinunter – zum Glück war Katarina ganz vernarrt in ihre neuen Jeans, Chucks und Shirts – und lief in die Küche.
Alles war, wie ich es verlassen hatte. Ich machte die Fenster zu, eins nach dem anderen. Dabei entdeckte ich, dass die Handy-Aufnahme offen stand, die ich im J u gendamt gemacht hatte. Ich musste sie irgendwann mit allem anderen Handykrust auf den Computer gesynct h a ben. Hatte Katarina gestöbert, oder war ich es gestern Abend selbst gewesen? Es war eine ziemlich lange Au f nahme, über zwei Stunden. Offenbar hatte ich vergessen, sie nach unserem Jugendamtsbesuch zu stoppen. Auf dem Audio war nicht nur Richards Gefecht mit Hellewart und Manteufel zu hören, sondern auch, was wir auf uns e rer Fahrt in die Liststraße gesprochen hatten: »Weißt du, Lisa, ich möchte bitte nicht ermordet werden.« Dann u n sere Parkplatzsuche, mein Parkmanöver im Hinterhof, unser Eintritt in Deppers Kanzlei, unser Gespräch mit Depper. »Wie oft habe ich ihr … meiner Frau … gesagt, sie soll sich den Schal nicht dreimal um den Hals w i ckeln.«
Moment!
Was sagte Depper da?
Ich sah die Richterin wieder vor mir am Tisch im Tau ben Spitz an ihrem letzten Abend unter den Lebe n den. Und ich hatte sie so garstig behandelt! Richard war zum Rauchen hinausgegangen, sie hatte zahlen wollen und sich den violetten Schal um den Hals gelegt. Aber nicht geschlungen. Sie hatte ihn vielmehr nach Art m o derner Karrieretussis in der Mitte zusammengefaltet, um den Nacken gelegt und die Enden durch die Schlaufe gezogen, so dass der Wulst auf ihrem Brustbein lag. E i gentlich hätte man nur an den Enden ziehen müssen, d a mit sich die Schlinge zuzog, und Exitus. Doch Detlef Depper redete hier von dreimal wickeln. Auf meinen Fundortf o tos war der Schal auch so geschlungen, wie er es als i h ren Fehler beklagte, weil er als Bub schon mal einen Kla s senkameraden deshalb hatte sterben sehen. Detlef kannte die Kleidungsgewohnheiten seiner Frau offenbar sehr schlecht. Damit war das, was er uns erzählt hatte, Täte r wissen.
28
Bis zum Kaffee hatten sich die Gemüter beruhigt, nur meines nicht. »Es ist Detlef Depper!«, raunte ich Richard zu, als der latente Verteilungskampf um die gekauften süßen Stücke tobte.
»Jetzt nicht«, antwortete er und ließ sich die Schwar z wälder Kirschtorte geben, die meine Mutter e i gentlich gern gehabt hätte.
Als das Apfelstück bei mir landete, klingelte mein Handy.
»Teixel!«, sagte eine Stimme. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie schon wieder anrufe.«
»Wir sind ja gestern unterbrochen worden«, sagte ich. »Was gibt’s?« Ich stand auf, angelte meinen Parka und trat vor die Haustür. Bei der Gelegenheit konnte ich mir auch gleich eine Zigarette anstecken.
»Ich war heute im Sonnennest«, berichtete der J u gendamtsmensch. »Und wissen Sie, was mir aufgefallen ist? Es sind kaum Kinder im Haus. Ich habe mir die Schla f räume zeigen lassen. Und wissen Sie was? Die meisten Betten sind nicht einmal bezogen. Herr Baph o met erklärte mir, die Räume sollten renoviert werden, die Ki n der befänden sich in einer erlebnispädagogischen Ma ß nahme in Bad Urach. Dort gibt es einen Kletterpark. Und das im Dezember. Ich habe ihm auf den Kopf zug e sagt, dass Kletterparks im Winter geschlossen sind. Da räumte er ein, man habe einen Teil der Kinder vorübe r gehend in Pflegefamilien gesteckt, um renovieren zu können.«
Richard würde Teixel verfluchen. Jetzt war Baphomet gewarnt.
»Und wissen Sie was?«
»Nein, was?«
»Da hat mich doch tatsächlich eben unser Amtsleiter angerufen …«
»Herr Manteufel?«
»Persönlich, daheim! Am heiligen Samstag! Und wi s sen Sie, was er gesagt hat? Es sei nicht meine Aufgabe, das Sonnennest zu kontrollieren.«
»Oh!«
»Ja, gell! Manteufel ist ein Seckel. Er fürchtet Eige n initiative, weil da könnte sich ja herausstellen, dass er unfähig ist. Aber dann ist mir was eingefallen. Ich habe mal eine E-Mail bekommen, die nicht für mich gedacht war, sondern für Manteufel. Ich bin jetzt im Amt, weil ich die E-Mail noch
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