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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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erraten, warum er wirklich zu uns gekommen war.
    «Summer wird uns leider nicht mehr helfen.»
    «Ach.» Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. «Kann ich etwas tun?»
    «Danke, aber David und ich kommen zurecht.»
    «Okay.» Kyle nickte energisch. «Gut, wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie mir Bescheid.»
    |152| «Das werde ich. Und pass auf dich auf.» Toms Lächeln verblasste, sobald die Tür geschlossen war. «Mein Gott   …»
    «Er hat recht», sagte ich. «Er hat seine Arbeit gemacht. Es bringt nichts, wenn du dir die Schuld gibst. Und wenn man es genau
     betrachtet, hätte eigentlich ich Summer helfen sollen, nicht er.»
    «Es war nicht dein Fehler, David.»
    «Deiner auch nicht. Außerdem wissen wir noch nicht, ob die Nadel verunreinigt war. Vielleicht hat er Glück gehabt.»
    Es war eine schwache Hoffnung, aber es hatte keinen Sinn, dass Tom sich quälte. Er richtete sich auf.
    «Du hast recht. Was geschehen ist, ist geschehen. Konzentrieren wir uns jetzt lieber darauf, diesen Hurensohn zu fassen.»
    Tom fluchte selten, und es war ein Zeichen seiner Unruhe, dass es ihm jetzt nicht aufzufallen schien. Er ging zur Tür und
     blieb dann stehen.
    «Das hätte ich fast vergessen. Mary lässt fragen, ob du Fisch isst?»
    «Fisch?» Der plötzliche Themenwechsel verwirrte mich. «Ja, warum?»
    «Du bist heute Abend zum Essen eingeladen.» Er hob die Augenbrauen und genoss meine Verwirrung. «Sam und Paul kommen auch.
     Hast du das etwa vergessen?»
    Es war mir völlig entfallen. «Nein, natürlich nicht.»
    Er grinste, und in seinen Augen war wieder das alte Funkeln. «Gott bewahre! Du musst dir ja auch um nichts anderes Gedanken
     machen, oder?»
     
    Eine menschliche Leiche hat zweihundertundsechs Knochen. Sie variieren in der Größe vom Femur, dem schweren Oberschenkelknochen,
     bis zu den winzigen Knöchelchen des Mittelohrs, |153| von denen das kleinste nicht größer als ein Reiskorn ist. Strukturell ist das Skelett ein Wunder der biologischen Technik
     und genauso kompliziert und hoch entwickelt wie alles, was der Mensch erschaffen hat.
    Es wieder zusammenzusetzen ist keine einfache Aufgabe.
    Befreit von den letzten Resten des verwesten Gewebes erzählten die nackten Knochen des in Willis Dexters Sarg begrabenen Mannes
     ihre eigene Geschichte. Die afroamerikanische Herkunft war nun unverkennbar und zeigte sich sofort in der etwas geraderen,
     leichteren Knochenstruktur und den eher rechteckigen Augenhöhlen. Der Mann war von mittlerer Größe und Statur und angesichts
     der Abnutzung seiner Gelenke zwischen Mitte fünfzig und Anfang sechzig gewesen. Im rechten Oberschenkelknochen und im linken
     Oberarmbein konnte ich lange verheilte Brüche, die beide wahrscheinlich von Unfällen aus der Kindheit stammten, in den Knien
     und Knöchelgelenken Anzeichen von Arthritis erkennen. Die Beschädigungen waren links deutlicher als rechts, was besagte, dass
     er diese Seite beim Gehen mehr belastet hatte. Außerdem war die linke Hüfte schwer verschlissen, Oberschenkelkopf und Gelenkpfanne
     waren abgeschliffen und abgenutzt. Wenn er vor seinem Tod nicht über einen Hüftgelenkersatz nachgedacht hatte, hätte er über
     kurz oder lang nicht mehr gehen können.
    Aber diese Erkenntnis half ihm jetzt auch nicht mehr weiter.
    Wie bei Terry Loomis war das Zungenbein des Mannes intakt. Das musste nichts bedeuten, aber als ich den tropfenden Schädel
     aus dem Lösungsmittel hob, musste ich bitter lächeln. Die Zähne waren noch immer braun und fleckig, doch weiter unten, wo
     einst das Zahnfleisch gewesen war, war nun ein Streifen aus sauberem Schmelz freigelegt.
    |154| Und die rosarote Verfärbung war unverkennbar.
    Ich war noch dabei, den Schädel zu untersuchen, als Tom hereinkam. Ein kleiner, dicker Mann Mitte fünfzig war bei ihm. Sein
     dünnes, rötliches Haar hatte er halbherzig über den erhitzten Kopf gekämmt, und er trug eine abgewetzte Lederaktentasche,
     die zum Bersten mit Büchern vollgepackt war.
    «Josh, ich möchte dir David Hunter vorstellen», sagte Tom, als er eintrat. «David, das ist Josh Talbot. Was er über Ungeziefer
     nicht weiß, ist es nicht wert zu wissen.»
    «Er weiß, dass ich das Wort hasse», erwiderte Talbot freundlich. Er schaute sich bereits neugierig mit großen Augen im Raum
     um. Sein Blick verweilte auf den Knochen, aber nicht lange. Deswegen war er nicht gekommen.
    «Und wo ist das geheimnisvolle Insekt, das du für mich hast?»
    Als er das Probenglas sah, strahlte er

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