Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Flügel sein?“, fragte ich laut. „Fledermäuse haben keine Arme ...“
„So funktioniert das nicht“, sagte Nazir. „Hassan, der Meister, hat vier Beine und auch Arme und Flügel dazu. Eure jetzige Form entspringt nicht dieser Welt. Und sie ist nicht an die Regeln dieser Welt gebunden. Weshalb soll also Eure Form nicht ebenso anders sein?“ Ich versuchte meine Flügel zu bewegen. Sie breiteten sich aus und es war, als hätte ich sie schon immer auf meinem Rücken gehabt. „Ihr habt natürlich recht“, sagte ich und legte die Flügel wieder auf meinem Rücken zusammen.
„Natürlich? Ich glaube nicht, dass das das richtige Wort ist für das, was wir sind“ entgegnete Rebekka. „Ich bin nicht natürlich und Ihr seid es ebenso wenig.“
„Ihr meint, wir wären unnatürlich?“, entgegnete ich. Ich nahm mir eine weite, lederne Hose und schlüpfte hinein. Pelz oder nicht, ich fühlte mich in Kleidern wohler. Stiefel waren nicht möglich, mit den Krallen an den Füßen, und ein Hemd oder eine Jacke waren ebenso unnötig, schon der Flügel wegen. Ich legte meinen Waffengurt an und sah zu Rebekka hinüber. Nazir beobachtete uns beide. Der Werwolf wirkte dabei so gelassen, wie er als Mensch immer wirkte.
„Nun, vielleicht sind wir wirklich nicht natürlich ...“, fuhr ich fort. „Oder übernatürlich. Ich weiß es nicht. Vielleicht beides!“ Rebekka zuckte mit den Achseln. „Spielt das eine Rolle?“
Vor dem Zelt rührte sich etwas in der Dunkelheit. Nazir, Rebekka und ich fuhren gleichzeitig herum. „Vampire?“, fragte ich und spreizte wie aus einem Reflex heraus meine Flügel. „Nein“, flüsterte Rebekka. „Ich würde sie an ihrem Gestank erkennen. Sie riechen nach Tod und Verwesung. Das war etwas anderes.“ Bevor ich reagieren konnte, war sie an mir vorbei und aus dem Zelt herausgetreten. Sie hielt ihre Dolche in den Händen. Rebekka hatte sie gezogen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Nazir war dicht hinter ihr. Ich folgte den beiden auf dem Fuße. Mein Körper war mir noch neu und unbekannt, ich musste mich erst daran gewöhnen.
Unter freiem Himmel stellte ich fest, dass ich die Nacht mit meinen Katzenaugen wahrnahm, als sei es heller Tag. Auch das, was ich hörte, war anders, neu. Es war, als könnte ich die Umgebung hören, als bildeten die Geräusche ein Bild davon in meinem Kopf ab. Das Seltsamste aber waren die drei Gestalten, die sich gegen den Nachthimmel abzeichneten. Dort standen drei Männer, drei Soldaten. Drei Tote. Wie konnte das sein? Hatten wir uns getäuscht? Waren die Männer doch nicht tot gewesen? Rebekka sog scharf die Luft ein.
„Was in Allahs Namen ist das?“, hörte ich Nazir raunen. Ich schob mich an ihm und Rebekka vorbei und besah mir die Männer genauer. Ich traute meinen Augen kaum. Vor uns standen drei Tote. Dem einen war die Kehle aufgerissen worden, dem zweiten fehlte ein Arm und der dritte hatte eine tiefe Wunde von einem Schwerthieb. Ich konnte den weißen Knochen seines Oberarmes im fahlen Licht des Mondes erkennen. „Was wollt ihr?“, sprach ich den an, der mir am nächsten stand. Der Mann antwortete nicht. Dann wurde mir bewusst, dass ich Deutsch gesprochen hatte und wiederholte meine Frage auf Französisch. „Befehlt ...“, antwortete der Tote mit kehliger Stimme, die kaum zu verstehen war. „Befehlt ...“, sagten die beiden anderen toten Soldaten.
„Seht!“ Nazir hob den Becher auf, den ich vorhin aus Rebekkas Hand geschlagen hatte und der aus dem Zelt hinausgeflogen war. Nazir trat zu den drei Untoten und deutete auf die frischen, noch feuchten Spritzer, die sie in ihren Gesichtern und auf den Armen und Händen hatten. „Das Blut!“ Er hatte recht! Hassans Blut war sehr mächtig! Es konnte sogar Toten eine Art von Leben zurückgeben, wie es schien. Ich sah genauer hin. Die vergossenen Tropfen waren auch auf die Lippen der Männer gespritzt. Ich kann nicht sagen, woher der Gedanke kam, der mir dann durch den Kopf ging, aber er war da. Wenn ein winziger Tropfen von Hassans Blut diese Toten zu Untoten machen konnte, zu Untoten, die Befehlen gehorchten, dann ergaben sich daraus ganz neue, ungeahnte Möglichkeiten.
„Dreht euch um“, befahl ich, „Geht zu den Waffen, die dort auf einem Haufen liegen, nehmt jeder ein Schwert und kommt hierher zurück. Stellt euch nebeneinander auf und salutiert!“ Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann drehten sich die drei untoten Soldaten um und gingen zu dem Haufen von Schwertern, Äxten, Lanzen,
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