Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
Vom Netzwerk:
liebsten wäre Küppers sogleich zu ihm hinübergelaufen, um ihn unauffällig darum zu bitten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, damit er Petzold einfach stehen lassen konnte. Doch da drehte Kapaun sich auch schon um und verschwand Richtung Parfümerie.
    »Darauf müssen wir einen trinken«, sagte Petzold und boxte Küppers freundschaftlich gegen die Schulter.
    »Ja?«, sagte Küppers und dachte: Weshalb muss mir dieser Mistkerl ausgerechnet jetzt über den Weg laufen? Außerdem lag ihm noch die Geschichte mit seinem Sohn im Magen. Doch da hatte Petzold ihm auch schon seinen Arm um die Schulter gelegt und manövrierte ihn zielstrebig in Richtung Rolltreppe. »Aber ja! Ein schnelles Bierchen, okay?«, sagte Petzold, der nun offenbar Küppers’ Widerwillen spürte.
    »Also eigentlich trinke ich ja nicht während der Arbeit«, sagte Küppers und trat auf die Rolltreppe, die in den dritten Stock hinaufführte. »Außerdem wartet eine Kollegin unten auf mich.«
    »Ach, komm, geht doch ganz schnell«, sagte Petzold, »bloß ein Gläschen auf die alten Zeiten.«
    »Na also, wenn es unbedingt sein muss«, sagte Küppers, der anfing zu schwitzen. An den Händen, unter den Armen und vor allem am Rücken. Auch so eine Instinktreaktion.
    »Aber klar!«, rief Petzold und grinste übers ganze Gesicht.
    An Dieter Petzold hatte Küppers schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Und sicher wären nochmals Jahre |280| vergangen, ehe er ihm mal wieder eingefallen wäre, wenn überhaupt. Denn wenn er an Petzold dachte, musste er früher oder später auch an Kaufmann denken, den sie damals im Suff gemeinsam halbtot geschlagen hatten. Sie waren betrunken gewesen und wie im Rausch über Kaufmann hergefallen. Mit Holzlatten, die sie im Fahrradkeller gefunden hatten. Hinterher hatte Küppers sich noch wochenlang schlecht gefühlt und nicht wahrhaben wollen, was sie getan hatten. Immer wieder hatte er sich gefragt, wie es so weit hatte kommen können.
    Als am Morgen danach der Klasse mitgeteilt worden war, man habe Kaufmann lebensgefährlich verletzt im Fahrradkeller der Schule aufgefunden und ins Krankenhaus gebracht, da hatte Küppers das Gefühl gehabt, alle in der Klasse würden ihn anstarren. Intuitiv hatte er Petzolds Blick gesucht, doch der hatte so unbeteiligt wie immer hinter seiner Bank gesessen. Von da an hatte er ihn gemieden, wo und wie er nur konnte.
    Angefangen hatte alles ganz harmlos, damals. Sie hatten schon länger vorgehabt, Kaufmann, der bis dahin keine Gelegenheit ausgelassen hatte, sich über sie lustig und vor anderen schlecht zu machen, aufzulauern. Und als sie ihm in jener Nacht, als die Klassenparty noch lief, im Fahrradkeller über den Weg liefen, ging Petzold, der bereits einiges getrunken hatte, auf Kaufmann zu, drängte ihn in eine Ecke und fing an, ihm Ohrfeigen zu verpassen. Zuerst leicht und verächtlich und mit einem überlegenen Grinsen im Gesicht. Dann immer fester. Bis Kaufmann sich zu |281| wehren begann, und Petzold eine der auf dem Boden liegenden Latten packte und damit auf ihn einschlug. Und dann hatte auch Küppers eine der Latten gepackt und zugeschlagen. Hatte er Kaufmann wirklich gehasst? Oder wollte er vor Petzold nur nicht als Versager dastehen? Als sich Kaufmann nicht mehr rührte, hatte Küppers Angst bekommen. Sie hatten ihn einfach liegen lassen und waren abgehauen.
    »Seit wann bist ’n bei dem Laden hier?«, fragte Petzold und legte den Kopf schräg. Dabei kniff er seine Augen zu.
    »Zehn Jahre«, antwortete Küppers und dachte: Weshalb habe ich ihn nicht einfach stehen lassen und bin weggegangen?
    »Aha, Dekorateur also«, sagte Petzold. »Na ja, du konntest ja damals schon besser zeichnen als alle anderen.«
    »Ja, damals«, sagte Küppers, als sie im dritten Stockwerk angekommen waren, und steuerte auf das Selbstbedienungsrestaurant zu. Sie holten sich jeder ein Glas Bier und setzten sich an einen freien Tisch am Rand.
    Küppers sah Kapaun mit einer jungen Frau schräg gegenüber an einem Tisch sitzen. Sie unterhielten sich angeregt, und plötzlich griff Kapaun der Frau ins blonde Haar, die ihn bewundernd ansah.
    »Und du? Was machst du so?«, fragte Küppers beiläufig und beobachtete weiter das seltsame Verhalten der beiden.
    »Hab bis vor kurzem bei einer Versicherung gearbeitet, im Außendienst. Aber seit mein Rücken im Eimer ist, ist damit Schluss. Frühpensioniert«, sagte |282| Petzold und grinste. Und dann sagte er: »War gerade auf ’ner Kreuzfahrt, fünf Tage Mittelmeer.

Weitere Kostenlose Bücher