Lemberger Leiche
Töne aus einer Blockflöte: »Sagen Sie mir, was mit Fabian ist!«
Das Mädchen schien sich in Angst und Hilflosigkeit aufzulösen. Nun wäre Irma gern um den Tisch herumgegangen und hätte Ariadne über den Kopf gestreichelt.
Aber sie hielt sich zurück und sagte: »Beruhige dich. Fabian ist gesund und munter. Munter allerdings erst wieder, seit er einen gewaltigen Rausch ausgeschlafen hat.«
Ariadne ließ ein kurzes ungläubiges Grunzen hören. »Der nippt doch nur am Alkohol, davon kriegt man doch keinen Rausch!« Sie seufzte erleichtert auf. »Aber wenn ihm sonst nichts passiert ist, ist’s ja gut.«
»Fabian wird verdächtigt, an einem Bankraub beteiligt gewesen zu sein«, sagte Irma gedehnt.
Nun kicherte Ariadne und schüttelte heftig den Kopf. Dabei wackelte das Haarbüschel auf ihrem Hinterkopf hin und her wie ein Pudelschwanz.
»Fabian – eine Bank überfallen! Einen komischeren Witz habe ich noch nie gehört. So etwas traut der sich doch gar nicht. Fabi ist ein Weichei, das nicht mal Blut sehen kann.«
Ariadne zog die Lippen breit und die Augen zu Schlitzen und sah nun wie ein fröhlicher Chinese aus. Irma spürte die Gedanken in diesem runden Mädchenkopf kreisen und wartete. Ganz plötzlich sackten Ariadnes Mundwinkel nach unten, die Schlitzaugen weiteten sich und wurden rund und fragend.
»Sie haben gesagt, Sie sind von der Mordkommission – wieso reden Sie nun von dem Bankraub? Geht es um den Überfall hier in Feuerbach?«
»Woher weißt du davon?«
»Das ist doch Stadtgespräch. Außerdem lese ich abends die Zeitung von meinem Papa. Von Mord oder einer Schießerei stand da nichts.«
»Es ist auch niemand erschossen worden. Aber auf dem Bürgersteig vor der Bankfiliale lag ein alter Mann, den der Räuber vermutlich umgestoßen hat.«
»Und was geht das die Mordkommission an?«
»Der Mann ist im Krankenhaus an der Kopfverletzung gestorben, die er sich bei dem Sturz zugezogen hat. Deshalb sind wir eingeschaltet worden.«
Auf Irma machte Ariadne zwar einen ziemlich cleveren Eindruck, aber diese Mitteilung musste ihr Köpfchen erst verarbeiten. Irma störte sie nicht dabei.
Nach einer reichlichen Minute gab sich Ariadne einen Ruck. Sie machte: »Ha, ha, ha!« und fauchte: »Voll geil! Ich lach mich tot: Fabian raubt die Bank aus, und als er mit der Million abhauen will, kommt ihm ein Opa in die Quere. Fabi schubst den Alten, und der fällt um und stirbt. Das ist eine prima Story für einen Fernsehkrimi! Verscheißern kann ich mich alleine.«
Irma widersprach dieser Version des Tatherganges nicht, sondern fragte Ariadne, wann sie Fabian zuletzt gesehen habe. Sie erntete trotziges Schweigen. Erst als sie Ariadne klar machte, ihre Aussage könne helfen, Fabians Unschuld zu beweisen, war diese bereit, ein paar Einzelheiten über ihr letztes Treffen mit Fabian preiszugeben.
Sie erzählte, dass sie sich daheim bei Fabian verabredet hatten. Da Fabians Eltern verreist waren und er sturmfreie Bude hatte, habe er wohl gedacht, ihr Treffen sei mehr zum Schmusen geeignet als zum Fernsehen. Sie selbst aber sei davon ausgegangen, sie würden gemeinsam das Fußballspiel Deutschland gegen England ansehen. Ariadne erzählte auch, weshalb Fabian keine Fußballspiele mochte, sie aber umso mehr.
»Das war ein Punkt, über den wir uns nie einigen konnten.« Ariadne tupfte sich mit dem Schürzenzipfel ein paar Tränen ab.
Gleich danach gluckste sie vor Lachen, entspannte ihre zusammengepressten Hände und bewegte sie, als würde sie stricken. In ihren Gedanken war das Schlafzimmer von Fabians Eltern aufgetaucht, das er zu einem Liebesnest hergerichtet hatte – Blümchenbettwäsche, zugezogene Gardinen, dazu Kerzen, Sekt, Pralinen und zartlila Pariser auf dem Nachttisch. Ariadne stellte sich die Gesichter von Fabians Mutti und Vati vor. Denn wie sie Fabian kannte, war er ihr hinterhergerannt, ohne dieses Szenarium vorher weggeräumt zu haben.
Warum lacht sie nur, dachte Irma. Wieso diese Gefühlsschwankungen? Sie ist doch viel zu jung, um sich so verstellen zu können, dass ich nicht schlau aus ihr werde.
Ariadne lächelte vor sich hin und verrenkte die Finger noch heftiger, als wäre sie nun zu einem äußerst schwierigen Strickmuster übergegangen.
Wieso, dachte Irma, hat sie sich so rasch beruhigt, lümmelt nun gemütlich im Chefsessel und verstrickt unsichtbare Wollfäden?
Irma versuchte vergeblich, ihre Vision wegzuscheuchen: Die Vision einer griechischen Königstochter, die im Palast von Knossos
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