Lemberger Leiche
saß und für ihren Vater, König Minos, Socken strickte. Socken aus dem Faden, von dem sie bekanntlich eine volle Garnrolle besaß. Der Faden der Ariadne! Kein Mensch hatte sich je Gedanken gemacht, welche Farbe dieser Faden hatte, wie dick er war, wie lang. Vermutlich aber war er ziemlich lang gewesen, denn Ariadne hatte ja ihren Garnknäuel Theseus geliehen, der im Labyrinth von Knossos den Minotaurus töten und mit Hilfe des Fadens wieder ans Tageslicht und zurück zu Ariadne finden sollte. Irma schielte zu Ariadne und fragte sich, was dieses Mädchen mit der Tochter des Königs Minos gemein haben könnte. Ob die mollige Kleine die Legende überhaupt kannte?
Ariadne starrte jetzt vor sich hin und kaute an den Nägeln, richtete sich aber plötzlich auf und sah Irma fragend an. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Nur dich ein bisschen kennenlernen. – Weißt du, dass du den Namen einer griechischen Königstochter trägst?«
Ariadne biss ein Stück Daumennagel ab und spuckte es auf den Fußboden. »Meine Mutter hat mich so genannt. Papa sagt, Mama hat einen Kulturfimmel gehabt und für die Antike geschwärmt. Zusätzlich hat Mama gemalt und später Flötenstunden genommen. Querflöte. Seit sie mit dem Flötenlehrer abgehauen ist, sind Papa und ich allein und er nennt mich Prinzessin.«
»Wie alt warst du denn, als deine Mama weg ist?«
»Vier.«
»Vermisst du deine Mama?«
»Überhaupt nicht. Es ist super, einen alleinerziehenden Vater zu haben. Wir erziehen uns gegenseitig.«
»Was macht dein Vater beruflich?«
»Er fährt Taxi. Er konnte sich den Babysitter für mich sparen, weil er mich Tag und Nacht in seinem Auto mitgenommen hat. Und jetzt habe ich selbst den Führerschein.«
»Darfst du das Taxi deines Vaters fahren?«
»Klar.«
»Arbeitest du gern in der Metzgerei?«
»Ja.«
»Und Fabian?«
»Der bleibt nur mir zuliebe in der Lehre. Er sagt immer, wenn er mal zu Geld käme, würde er nie wieder tote Tiere anfassen.«
»Wie will er denn zu Geld kommen? Zum Beispiel eine Bank ausrauben? Vielleicht hat er sich Mut angetrunken und dann war das gar nicht so schwer.«
Ariadne bekam einen puterroten Kopf und funkelte Irma feindselig an. »Jetzt haben Sie mich reingelegt. Erst sagen Sie, meine Aussagen könnten Fabian helfen, aber nun haben Sie mich richtiggehend in die Falle gelockt: Wenn ich Ihnen erzähle, Fabian wünscht sich, Geld zu haben, um nicht mehr Fleisch und Wurst verkaufen zu müssen, dann unterstellen Sie ihm sofort, er hätte die Bank ausgeraubt.Verdammt – das war nicht fair! Das ist ja, als hab ich ihn verraten!«
»Hast du ihn verraten?«
Ariadnes Fettpölsterchen zitterten, als ständen sie unter Strom. Und dann zischte sie: »Sie können mich mal!«
»Sag mir bitte noch, wo du am Sonntagnachmittag warst.«
»Das wissen Sie doch schon: Zuerst bei Fabian und dann bin ich abgehauen und hab in einer Kneipe das Fußballspiel angesehen.«
»Wo ist diese Kneipe?«
»In der Burgenlandstraße. Es ist eine Pizzeria.«
Irma verkniff sich einen Seufzer und schickte Papas Prinzessin zurück in den Verkaufsraum zum Koteletthacken.
Es war schon nach zwölf, als Irma die Metzgerei Pützle verließ. Sie quälte sich eine Weile mit dem Stadtplan herum und verwechselte eine Straßenkreuzung. Als sie den richtigen Weg wiedergefunden hatte, lief sie im Sturmschritt zum Roserplatz. Unterwegs überlegte sie, ob Ariadne zu trauen sei. Hatte sie bei dem Bankraub für Fabian Schmiere gestanden? Waren sie mit dem Geld in Papas Taxi abgehauen? Wusste Ariadne, wo das restliche Geld lag? Aber wie konnten die zwei, diese halben Kinder, in die Bank gelangen? Und wie war es ihnen gelungen, den Tresor aufzuhebeln? Mit einem Hackebeilchen aus der Metzgerei war das bestimmt nicht möglich gewesen.
Irma fragte sich, ob sie das Mädchen schärfer in die Mangel hätte nehmen müssen. Oder aufs Präsidium bestellen? Aber dafür reichten die Verdachtsmomente nicht aus.
Irma blieb stehen, zog ihr Handy hervor und rief im Präsidium an. »Hast du Zeit, Katz?«
»Noi.«
»Zick bitte nicht rum, Steffen. Ich brauch dringend eine Alibi-Überprüfung.«
»Also gut, weil du’s bisch, Eichhörnle.«
»Ich muss wissen, zu welcher Zeit sich Fabian Knorrs Freundin, die auf den schönen Name Ariadne Fröhlich hört, am Sonntag in Feuerbach in der Pizzakneipe
Giovanni
aufgehalten hat. Ruf bitte dort an oder geh vorbei.«
»I denk, du bisch bei dene Metzger en Feuerbach? Da kannsch doch selber in die Kneipe
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