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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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ihr klar, wie erschöpft und verzweifelt er war. Doch weil sie sich genauso erschöpft und verzweifelt fühlte, tat er ihr nicht leid. José war selbst schuld an seinem Dilemma Wie hatte er ein Mädchen wie Line dieser unberechenbaren Frau ausliefern können? Konnte ein junger Mann so dämlich sein? Hatten alle Spanier ein Brett vorm Kopf, wenn sie verliebt waren? Irma fühlte sich selbst dämlich, weil sie keine Antworten auf ihre Fragen fand.
    Fernández sah Irmas entmutigte Miene und versicherte in seinem gebrochenen Deutsch, aber diesmal langsam und verständlich, er würde erreichbar und in Bereitschaft sein, wenn sich am morgigen Sonntag etwas ergäbe, das das Eingreifen der spanischen Polizei nötig mache.
    »Bedeutet das, ich kann Sie telefonisch zu Hilfe rufen, wenn mir Frau Kurtz irgendwo begegnen sollte?«, fragte Irma.
    »Si. Ist okay. Ich kommen«, sagte Fernández und lächelte.
    Irma lächelte müde zurück.
    Danach sagten die Spanier freundlich adiós und fuhren ohne weitere Kommentare mit ihrem Dienstwagen davon. José hockte unglücklich auf dem Rücksitzt, er hatte soeben erfahren, dass er in Palma in Gewahrsam kommen würde.
    Irma und Leo blieben auf der Finca und suchten nochmals das Haus und den Garten ab. Erfolglos. Eine Weile zogen sie in Erwägung, hier zu übernachten, aber in den verwahrlosten Räumen befand sich weder ein Bett noch ein Sofa. Außerdem hatten sie Hunger und es gab in der Nähe kein Gasthaus. Und selbst, wenn sie am nächsten Tag in der näheren Umgebung ein Dorf finden würden, hätten die Läden geschlossen, da dann Sonntag war. Aus diesen Gründenund auch mit der winzigen Hoffnung, Line vielleicht im Hotel in Cala Major zu finden, entschlossen sie sich zurückzufahren.
    Es war bereits stockdunkel, als sie sich auf den Weg machten. Beide gestanden sich ein, dass sie bei der Hinfahrt zu aufgeregt gewesen waren, um auf die Strecke zu achten. Sie waren ohne nach rechts oder links zu sehen dem Polizeiwagen gefolgt, in dem José gesessen und den Weg gewiesen hatte. Sie erinnerten sich nur noch, die Autobahn bei Binissalem verlassen zu haben und dann lange über eine schlaglochgespickte Landstraße an Olivenplantagen und Weinfeldern entlanggefahren zu sein. Die letzte Etappe waren sie über Karrenwege geholpert, bis sie vor der Finca gehalten hatten.
    Nun fuhren sie los, hinein in die Dunkelheit. Schon nach wenigen Kilometern hatten sie die Orientierung verloren. Mehr als eine Stunde lang kurvten sie über Karrenwege durch die große Ebene, die Leo »Es Pla« nannte. Endlich erreichten sie eine asphaltierte Straße, und um sicherzugehen, nicht wieder in einer abgelegenen Gegend zu landen, folgten sie dem Schild, das nach Inca wies. Vor Inca, der nächsten größeren Stadt nordöstlich von Palma, fanden sie den Zubringer zur Autobahn und nahmen nun die entgegengesetzte Richtung.
    Da es beiden vor Müdigkeit, Hunger und Durst ganz flau war, legten sie kurz nach Santa Maria eine kurze Rast am
Festival Park
ein. Der
Festival Park
war ein Konsumtempel amerikanischer Prägung, der dicht an der Autobahn lag und bis in die Nacht hinein geöffnet hatte.
    Gestärkt fuhren sie weiter und hatten eine Stunde später Cala Major erreicht.
    Leo, der krank vor Sorgen um Line war, blieb die Nacht über bei Irma. Darüber war sie sehr froh, weil sie in der gleichen Gemütsverfassung war und sich vor dem Alleinsein fürchtete.
    Obwohl es kurz vor Mitternacht war, rief Leo noch seinen Chef an.
    Nach einem langen, aufgeregten Gespräch auf Spanisch sagte Leo zu Irma: »Der Boss hat zwar Zeter und Mordio geschrien, aber schließlich kapiert, dass er eine Vertretung für mich suchen muss.«
    »Danke«, sagte Irma.
    »Morgen fahre ich so früh wie möglich zurück zu der Finca und suche weiter«, sagte Leo.
    »Du nimmst mich doch mit?«
    Irma war völlig verunsichert. Es schmerzte sie, dass Leo ihr die Schuld an Lines Entführung gab. Sie dachte: Wahrscheinlich braucht er jemanden, den er anklagen kann, um besser mit seiner Angst fertig zu werden.
    »Ich kann doch nichts dafür!«, sagte sie flehend. »Wenn ich gewusst hätte … Ich wünschte, diese schreckliche Frau hätte mich statt Line entführt.«
    Leo winkte ab. »Du wärst gar nicht in Josés Wagen gestiegen, weil du nicht so ein gutgläubiges Kind bist wie Line.«
    »Sie werden José wegen der Entführung anklagen und auch wegen des Diebstahls in der Apotheke«, sagte Irma.
    »José ist mir schnurzegal«, knurrte Leo. »Wegen mir kann ihn der

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