Lemberger Leiche
Teufel holen.«
»Fahren wir morgen zusammen zu der Finca?«, fragte Irma.
»Ja.«
Fünfzehn
Sonntag, 11. Juli
In aller Herrgottsfrühe klingelte Irma ihren Chef in Stuttgart aus dem Bett. Sie hatte Schmoll nach dem vielsagenden Brief von Erik an seine Bonnie auch den Erpresserbrief gefaxt. Nun gab sie Schmoll einen ausführlichen Bericht über die Entführung und die vergebliche Suche nach dem Versteck, in dem Frau Kurtz mit Line untergetaucht war. Danach beklagte sich Irma über die unzulängliche Amtshilfe der Spanier.
»Sie behaupten, die Kriminalpolizei müsse nur Sonntagsdienst schieben, wenn es um Mord geht. Anscheinend sind sie der Ansicht, Entführung ist ein Strafdelikt, das auch einen Tag später aufgeklärt werden kann.«
Nachdem Schmoll genügend geflucht hatte und Irma von seinem polternden Bass die Ohren dröhnten, legte er ihr mit etwas leiserer, aber eindringlicher Stimme ans Herz, keinesfalls im Alleingang in der Gegend um die Finca nach Frau Kurtz und Line zu suchen.
»Natürlich suche ich«, sagte Irma. »Außerdem kommt Leo mit, oder meinst du, der macht sich keine Sorgen um seine Schwester?«
Schmoll zischte einen Seufzer durch die Zähne und sagte, er wünsche heute den ganzen Tag telefonisch auf dem Laufenden gehalten zu werden. »Das ist ein dienstlicher Befehl!«
Für diesen letzten Satz verwendete er wieder seinen Donnerton, und der grollte noch nach, als er schon aufgelegt hatte.
Irma und Leo konnten es nicht erwarten, endlich loszufahren. Ausgeschlafen hatten beide nicht. Erstens, weil sie so spät ins Bett gegangen waren und zweitens, weil das Nachtleben in und um das Hotel akustisch äußerst turbulent gewesenwar. Sie ließen das Frühstück ausfallen und waren schon kurz nach sieben unterwegs.
Auf den ersten Kilometern schwiegen sie sich an, weil keiner von beiden sicher war, wie sehr der Streit vom vorigen Tag noch schwelte.
Irma sagte bedrückt: »Ich fühle mich tatsächlich schuldig an Lines Unglück. Aber ich habe nur meinen Job gemacht. Ich konnte es nicht verhindern.«
»Schon gut«, sagte Leo. »Ich fürchte, es wird ein langer Tag werden.«
»Oh Mist!«, sagte Irma. »Ich hab vergessen, uns mit Proviant einzudecken.«
»Vor allem brauchen wir genug zu trinken«, sagte Leo. »Wir fahren ja wieder mitten in die Es Pla.«
»Was bedeutet Es Pla?«
»So nennt man hier die zentrale Ebene der Insel. Dort ist es viel heißer als an der Küste.«
»Ich habe jetzt schon Durst«, japste Irma.
»Wir halten in Binissalem«, sagte Leo. »Binissalem ist Mallorcas berühmtes Weindorf, dorthin werden an den Wochenenden ganze Busladungen mit Touristen gekarrt. Deswegen sind die Geschäfte sonntags geöffnet.«
Der Verkehr hatte zugenommen. Urlauber und auch Einheimische waren unterwegs zu den Ausflugzielen nach Alcúdia oder Pollença.
Links der Autobahn lag in der Ferne das Bergmassiv der Sierra de Tramuntana. Trutzig und zauberhaft gleichermaßen.
Weder Irma noch Leo hatten einen Blick dafür übrig. Sie wollten so schnell wie möglich diese Straße hinter sich bringen. Denn inzwischen waren sie übereingekommen, nicht nur die Finca, in der Line gefangen gewesen war, noch einmal unter die Lupe zu nehmen, sondern zusätzlich möglichst viele in der Nähe liegende verlassene Höfe auszukundschaften. Sie waren sich sicher, dass Frau Kurtz mit Line nicht weit gekommen sein konnte.
Gegen acht Uhr erreichten sie Binissalem. Das Dorf bestand aus engen Gassen, gesäumt mit Häusern aus gelben und ockerfarbenen Natursteinen. In jeder Gasse gab es ein oder mehrere Restaurants oder Weingüter, die zu Weinproben einluden.
»Falls unsere Welt wieder in Ordnung kommt«, sagte Leo, »steigen wir hier in diesem Eldorado der Weinkenner in eine der Bodegas und prüfen die edlen Binissalemer Tropfen vor Ort. Versprochen!«
Irma war froh, dass sich dabei Leos deprimierte Miene endlich einmal aufhellte. Sie liebte sein breites Lächeln, bei dem er seine kräftigen Zähne zeigte und die Augen zu Schlitzen zog. Dass er Pläne für eine Weinprobe erwog, hielt Irma für ein gutes Zeichen und hoffte, er wäre allmählich weniger sauer auf sie.
Wegen der vielen Einbahnsträßchen kurvten sie lange im Dorf herum, bis sie endlich das Zentrum erreichten. Sie parkten in der Nähe des Marktplatzes. Dann umrundeten sie die Kirche, die das Dorf wie eine Festung überragte. Neben dem Portal standen auf Sockeln ein hübsches steinernes Mädchen und ein schmucker steinerner Bursche, beide unverkennbar
Weitere Kostenlose Bücher