Lennox 01 - Lennox
Für Glasgows protestantische Mehrheit war ein Name wie Michael Murphy der Name des Feindes. Ein Fenier. Ein Mick. Ein Taig . Glasgow mochte die am wenigsten antisemitische Stadt Europas sein, aber das machte sie durch den glühenden wechselseitigen Hass zwischen Katholiken und Protestanten wett. Mit Religion hatte es eigentlich kaum etwas zu tun, dafür mit Herkunft: Die Protestanten waren alteingesessene Schotten, die Katholiken die Nachkommen der irischen Einwanderer aus dem 19. Jahrhundert.
Hammer Murphy war nur einen Meter siebzig groß, aber er schien genauso breit wie hoch zu sein. Mit Muskeln bepackt. Und mit Hass. Die beiden anderen Könige pflegten Witze über Murphys mangelnde geistige Fähigkeiten zu machen. Okay, er war ganz sicher keine Leuchte, doch seine bösartige, tierhafte Intelligenz durfte man auf keinen Fall unterschätzen.
Jeder kannte Hammer Murphys Geschichte. Sie war legendär. Und wer die Geschichte kannte, wusste auch, dass man diesem Mann lieber nicht in die Quere kam.
Murphy hatte schon früh lernen müssen, dass die Karten, die das Schicksal ihm in die Hand gedrückt hatte, ein ziemlich beschissenes Blatt waren. Ihm wurde klar, dass er nicht den nötigen Verstand besaß, um sich durch Bildung aus der beengten Bruchbude in Maryhill zu befreien, in der er mit seinen Eltern, fünf Brüdern und zwei Schwestern hauste. Er erkannte sehr bald, dass er als Glasgower Katholik aus der Arbeiterschicht die Arschkarte gezogen hatte. Als Sprössling eines Malochers in einer Mietskaserne würde er in seinem ganzen Leben keine jener Annehmlichkeiten genießen, die anderen in die Wiege gelegt worden waren. Es sei denn, er nahm sich, was er wollte.
Dies alles hatte eine dunkle, boshafte Wut entstehen lassen, die tief in Murphys Innerem brannte. Anfangs hatte er dieser Wut durch Gewalt Luft gemacht, etwa bei den Schlägereien zwischen den Fans der Celtics und der Rangers: Gewalt als Selbstzweck. Dann hatte er versucht, Gewalt mit einer Überlebens- und Erfolgsstrategie zu verbinden: produktive Gewalt. In Gestalt seiner fünf Brüder hatte er von Hause aus eine einsatzbereite Bande besessen. Die Murphy-Gang war nie durch Originalität aufgefallen, sondern hatte den offensichtlichen Weg gewählt: zu Anfang ein bisschen Schutzgelderpressung in der Nachbarschaft, Autodiebstähle, Hauseinbrüche. Dann verlegten sie sich auf Kreditwucher. Und dann auf das Territorium einer anderen Gang.
Begonnen hatte es als Kleinkram, als Streit zwischen zwei unbedeutenden Banden Kleinkrimineller um einen wertlosen Flecken Glasgower Territorium. Der Anführer der anderen Gang war Paul Cochrane gewesen. Normalerweise wurden Streitigkeiten wie diese durch Abnutzung beigelegt. Durch wiederholte Massenschlägereien. Ein Fortschritt von einem erpressten Geschäft zum nächsten, von Laden zu Laden, Wirtschaft zu Wirtschaft, Buchmacher zu Buchmacher. Dann aber schlug Murphy seinem Widersacher vor, die Angelegenheit zwischen ihnen beiden zu regeln. Ein »fairer Kampf« vor ihren beiden Gangs. Der Sieger sollte Anführer beider Banden sein. Cochrane hatte nicht gefragt, was aus dem Verlierer werden sollte.
Man ging davon aus, dass Waffen benutzt würden, und Cochrane hatte einen selbst gemachten Schlagring besessen, dem ein kurzer, aber tödlicher Dorn entsprang. Murphy hatte seine Fäuste, seine Füße und seine Stirn eingesetzt. Sogar seine Zähne. Cochranes Tritte und Hiebe hinterließen keine Spur in Murphys kampfgestähltem Gesicht. Als Cochrane ihn mit seiner Waffe angriff, brach Murphy ihm den Arm. Der Kampf war kurz, brutal und einseitig. Mit dem heilen Arm machte Cochrane die Geste der Aufgabe.
Der siegreiche Murphy wandte sich daraufhin Cochranes Schlägertruppe zu und verkündete, dass sie nun unter seiner Kontrolle stände. Dass sie nun stärker würden. Besser. Härter. Er versprach ihnen mehr Geld. Mehr Macht. Es sei der Beginn einer besseren Zeit für sie alle. Dann fügte er in ruhigem, gemessenem Tonfall hinzu, dass jedem, der sich ihm in den Weg stellte, das Gleiche passieren würde, was er nun mit Cochrane anstellte.
Vor vierzig Zeugen beging Michael Murphy einen Mord, indem er Cochrane mit einem Fünf-Pfund-Hammer mit zylindrischem Kopf den Schädel zertrümmerte. Er machte ein blutiges Spektakel daraus, eine Zurschaustellung extremer, psychotischer Gewalt, die selbst hartgesottene Männer schockierte, die jeden Tag mit Gewalt zu tun hatten. Als Murphy fertig war, ließ er Cochranes einstigen Stellvertreter
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