Lennox 01 - Lennox
vor Kurzem fachmännisch verfliest worden; deshalb fiel mir die raue Verfugung an der Unterkante zweier Kacheln ins Auge. Mit dem Brotmesser lockerte ich die beiden Fliesen und schob die Hand in den Hohlraum unter der Wanne. Nach ein bisschen Herumscharren schlossen meine Finger sich um Stoff. Ich nahm den Gegenstand heraus und hielt eine Stofftasche mit Zugband in der Hand. Ich öffnete die Tasche. Jackpot.
Die Tasche war ungefähr zwanzig Zentimeter breit und hoch, und sie war vollgepackt. Ich kippte den Inhalt auf den Linoleumfußboden des Badezimmers. Vor mir lag das, was ein Verbrecher anstelle eines Rettungsfloßes benutzte: sein Ausweg aus einer Klemme. Sehr beeindruckend. Zu beeindruckend für einen Glasgower Mittelklassegangster. Hätte die Situation es erforderlich gemacht – hier, in dieser Leinentasche, hätte Tam alles gehabt, was er für einen sauberen Absprung brauchte. Doch Tam war schneller untergegangen als die Titanic und hatte nie eine Gelegenheit gehabt, sein sorgsam zusammengestelltes Fluchtpaket zu benutzen. In der Tasche waren Geld, ein Notizbuch und drei Pässe: zwei britische und ein amerikanischer. Nur daran, dass mich in jedem dieser Pässe Tam McGaherns Gesicht von einem Foto angrinste, unter dem ein falscher Name stand, konnte ich erkennen, dass sie gefälscht waren. Ansonsten wirkten sie vollkommen echt.
Fälschungen dieser Qualität kosteten eine Menge Geld, Zeit und Kontakte, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, dass Tam sie besessen hatte. Ich zählte die US-Dollars: zweitausend insgesamt in Rollen, die von Gummibändern straff zusammengehalten wurden. Ich erinnerte mich, wie McNab mich gefragt hatte, ob ich wisse, was aus dem Geld geworden sei, das verschwunden war, als Tam ermordet wurde – das hier konnte es nicht sein. Es war eine Menge Geld, aber nicht so viel, dass McNab deswegen Gewalt angewendet hätte. Doch es reichte, um einen auf die andere Seite des Globus zu bringen. Oder, angesichts des gefälschten amerikanischen Passes, eher auf die andere Seite des Atlantiks.
Ich rollte die Scheine sorgsam wieder zusammen und legte die Gummibänder darum. Dann schob ich sie in meine Jackentaschen, damit sie den sechshundert Pfund Gesellschaft leisteten. Immerhin war es möglich, dass auch ich irgendwann ein Rettungsfloß brauchte. Wie es schien, musste ich noch einen weiteren Band aus dem Gesamtwerk von H. G. Wells aushöhlen.
Nachdem ich mir die Falschnamen notiert hatte, wischte ich die Pässe mit meinem Taschentuch ab und steckte sie wieder in die Tasche, die ich dann in den Hohlraum unter der Badewanne zurücklegte. Ich hielt es für das Beste, wenn es für zukünftige Besucher etwas zu finden gab. Das Notizbuch behielt ich. Darin stand eine Liste aus Initialen und Zahlen, deren Sinn sich mir beim ersten Hinschauen nicht erschloss, und ich wollte mich später in Ruhe damit befassen. Ich setzte die Fliesen wieder ein, knipste die Lampen aus, stieg im Dunkeln die Treppe hinunter und ging zurück zur Haustür.
Ich hatte gerade den Chubb-Schlüssel umgedreht, als ich das unwillige Quietschen von Tam McGaherns Gartentor hörte.
16
Ich ließ das Schloss so leise und so schnell wieder einschnappen, wie ich konnte. Dann huschte ich durch das dunkle Haus in die Küche, wo ich meine Taschenlampe anknipste, um die Hintertür zu finden. Aus dem Steckschloss ragte ein großer Schlüssel. Ich wollte mich in den Garten hinauslassen, die Tür von außen zuschließen und dabei hoffen, dass dem oder den Besuchern nicht nach einem Lungenzug Nachtluft zumute wäre.
Ich schob die Taschenlampe zu dem Geld in die Jacketttasche und drehte den Schlüssel. Die Tür ließ sich nicht aufschließen: Der Schlüssel verhakte sich nach einer halben Drehung. Mir brach der Schweiß aus: Wer immer den Weg entlangkam, war mittlerweile vermutlich an der Haustür angelangt. Ich versuchte es erneut, drehte den Schlüssel erst in die eine, dann in die andere Richtung und machte mehr Lärm, als ich sollte. Nichts. Ich hörte, wie die Haustür aufgeschlossen und geöffnet wurde. Mit meinem ganzen Gewicht lehnte ich mich gegen die Hintertür, drückte sie gegen den Rahmen und versuchte noch einmal, das Schloss zu öffnen. Der Schlüssel drehte sich mit einem lauten Klacken. Ich glitt hinaus in den dunklen Garten und schloss vorsichtig die Tür hinter mir. Gegen meinen Plan verschloss ich sie nicht wieder; es hätte zu viel Krach gemacht, und ich musste davon ausgehen, dass bereits das Aufschließen im
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