Lennox 01 - Lennox
sein, aber die Menschen haben ihre Schurken gern überlebensgroß. Im Sinne des Wortes. Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich sage, dass ich einen Ruf genieße, der beeindruckender ist als meine tatsächliche körperliche Erscheinung.«
»Warum haben Sie mich hier hochgeschleift? Außer wegen einer kreuzlangweiligen Geschichtsstunde?«
»Weil wir hier ein ruhiges Plätzchen haben, wo wir reden können, und ich meine Post abholen muss. Auf diese Weise verständigen mich meine Kunden, wenn sie einen Auftrag für mich haben. In der Tabaksdose hinterlassen sie eine Notiz mit Uhrzeit und Telefonnummer, die ich zur gegebenen Zeit anrufe. Ich unterhalte mehrere solcher Postfächer, aber dieses hier gehört zu meinen Lieblingen. Die Örtlichkeit eignet sich nicht für eine Falle der Polizei, weil sie weit oben liegt und offen ist. Einige meiner Kunden, die Drei Könige zum Beispiel, haben selbstverständlich konventionellere und direktere Möglichkeiten, mich zu kontaktieren.« Er deutete über das Tal, wo eine Nadel aus Stahlträgern in den fast dunklen Himmel stach. »Die Dinge ändern sich, Mr. Lennox. Man hat ihn vor fünf Jahren errichtet. Einen Fernsehturm. Offenbar ist das die Zukunft. Die Dinge werden ausgeklügelter. Technischer. Die Polizei ebenfalls.«
»Ich weiß trotzdem noch nicht, wieso ich hier bin.«
»Zuerst einmal wollte ich Ihnen zeigen, wie Sie sich mit mir in Verbindung setzen.«
»Ich wohne in Glasgow. Ich wäre schon mit einem halbwegs brauchbaren Schneider zufrieden. Meine Hauswirtin hat manchmal Schwierigkeiten, auch nur einen Klempner aufzutreiben.« Ich rieb mir sarkastisch-nachdenklich das Kinn. »Aber nein ... ich glaube nicht, dass ich jemals dringend einen Auftragskiller brauchen könnte.«
Mr. Morrison schenkte mir einen leeren Blick. Seine pathologische Gefühlsarmut hatte er mir beschrieben. Offenbar schloss sie auch den Sinn für Humor ein. »Nein, nein, so habe ich es nicht gemeint«, sagte er. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich wollte, dass Sie wissen, wie Sie mich erreichen können, falls nötig. Aber darauf komme ich noch zurück.«
»Das ist gut«, sagte ich, und wieder begriff er meine Ironie nicht.
»Ich wollte Sie vor allem deshalb sprechen, weil ich Informationen habe, die interessant für Sie sein werden. Vor ungefähr einer Woche hatte ich für Mr. Sneddon einen Auftrag zu erledigen. Als ich eingewiesen wurde, erwähnte er, dass Sie für ihn den Mord an Tam McGahern untersuchen ... herauszufinden versuchen, wer dahintersteckt. Ich war es übrigens nicht.«
»Wenn Sie mich hierher gebracht haben, um mir das zu sagen, hätten Sie mir den Marsch ersparen können. Das wusste ich bereits.«
»Das ist es auch nicht, was ich Ihnen zu sagen habe. Vor zweieinhalb Wochen wurde an einer meiner Postsammelstellen eine Telefonnummer hinterlassen, die ich nicht erkannt habe. Ich arbeite für einen festen Kundenkreis und gehe keineswegs auf Kundenfang. Wie ich Ihnen bereits im Zug sagte, Mr. Lennox, bin ich eher Jäger als Pirscher, verstehe mich aber trotzdem sehr gut darauf, hier und da etwas herauszufinden. Ich habe Kontaktleute ... Personen, an die ich mich wenden kann und die mir gegen Bezahlung bestimmte Gefallen erweisen. Übrigens ahnt keiner von ihnen, womit ich mein Geld verdiene, auch wenn sie wahrscheinlich vermuten, dass es nicht ganz legal ist. Wie auch immer, von einem dieser Kontaktleute – er arbeitet für das Postamt – habe ich die Nummer überprüfen lassen. Er sagte mir, sie gehöre zu einer öffentlichen Telefonzelle in Glasgow. Auf der Renfield Street. Wer immer die Nachricht hinterlassen hat, hat sich größte Mühe gegeben, dafür zu sorgen, dass er nicht verfolgt werden kann. Da es sich um eine Telefonzelle handelte, musste er mir allerdings eine genaue Uhrzeit nennen, zu der ich anrufen sollte.«
»Und haben Sie angerufen?«
»Nein. Selbstverständlich nicht. Es hätte eine Falle der Polizei sein können. Statt anzurufen, war ich in der Renfield Street, mit Blick auf den öffentlichen Fernsprecher. Und tatsächlich, fünf Minuten vor der genannten Uhrzeit ging ein ziemlich kleiner junger Mann in die Telefonzelle. Es hätte natürlich ein Zufall sein können, doch dann klopfte ein anderer Mann ungeduldig gegen die Scheibe. Der junge Mann öffnete die Tür, packte den Wartenden beim Kragen und sprach offensichtlich eine Drohung aus. Der andere Mann machte, dass er wegkam.«
»Gut, aber Sie reden über Glasgow. Das ist normaler
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