Leo Berlin
gestanden und die Republik ausgerufen
hat?«
Ilse zuckte gleichgültig
mit den Schultern und stellte die Schüssel mit den Erdbeeren auf den
Tisch, dazu Kartoffeln, Margarine und etwas Wurst. »Die Politik ist
schmutzig, das habe ich schon immer gesagt. Und nur weil jetzt die anderen
dran sind, wird sie nicht besser. Ich hole die Kinder zum Essen.«
Mit diesen Worten ging sie aus der Küche und Leo sah ihr nach. Auf
einmal kam er sich unendlich allein vor.
Marie stürmte in die Küche
und kletterte auf den Stuhl neben ihrem Vater. »Guck mal, Papa,
Tante Ilse hat Erdbeeren gekauft. Sehen die nicht lecker aus?«
Fünf Minuten später
war ihr Mund rot verschmiert und ihre Augen strahlten. »Für wen
ist die letzte?«, fragte sie mit einem besorgten Blick auf ihren
Bruder.
»Ach, ich bin so satt«,
meinte Georg vielsagend und schaute seinen Vater an, der anerkennend lächelte.
Leo trat ans
Wohnzimmerfenster, riss es weit auf und rauchte eine seiner seltenen
Zigaretten. Komisch, viele Menschen rauchten nur in Gesellschaft, er aber
rauchte, wenn er einsam war.
In Gedanken versunken fuhr er
mit einem Finger über seine linke Schläfe, an der eine lange weiße
Narbe vom Haaransatz bis zur Höhe des Wangenknochens lief. Vor drei
Jahren, bei den Straßenkämpfen im Winter, hatte er bemerkt, wie
drei Polizisten einen Arbeiter verprügelten, der schon am Boden lag,
die Arme um den Kopf geschlungen. Spontan war er dazwischengegangen.
Worauf die Polizisten mit ihren Gummiknüppeln auf ihn einschlugen.
Manchmal glaubte er, dass sie ihn nur bei der Kripo behalten hatten, weil
Kriminaloberkommissar Ernst Gennat sich für ihn eingesetzt hatte.
Auf der Straße spielten
noch ein paar Kinder. Ein Betrunkener taumelte aus der Eckkneipe und
umschlang den nächsten Laternenpfahl wie eine Geliebte. Von hier oben
sah alles aus wie immer, kein Hunger, kein Elend, keine Krankheiten. Aber
das war nur die Täuschung eines hellen Sommerabends.
Später las er in einem
Buch über Malerei, eine seiner privaten Leidenschaften. Gegen neun
klingelte das Telefon. Sie besaßen einen der wenigen Anschlüsse
in dieser Gegend, weil Leo als Kriminalkommissar ständig erreichbar
sein musste.
»Wechsler.«
»Leo, du musst kommen«,
meldete sich sein Kollege Robert Walther, mit dem er befreundet war.
»Wir haben einen Mordfall in Charlottenburg. Ein Mann namens Gabriel
Sartorius wurde erschlagen.«
Er saß am
Schreibtisch, vor sich ein Glas Weinbrand. Seine Hände ruhten auf der
polierten Tischplatte, reglos, ohne die Spur eines Zitterns. Mit diesen Händen
. . .
Dabei hatte er nur mit ihm
reden wollen. Ihn fragen, wie jemand außer ihnen beiden von den
Dingen wissen konnte, die er ihm anvertraut hatte. Wie jemand diesen Brief
hatte schreiben können. Ob jemand, der Sartorius nahe stand, den
Heiler missbraucht hatte, um dessen Patienten zu schaden. Das musste der
Mann ihm sagen, das war Sartorius ihm schuldig, nachdem er seine ganze
Heilkunst an ihm ausprobiert hatte: Edelsteine, Meditation, Pendel,
Hypnose . . . einfach alles, was Hilfe versprach.
Doch als er davon erzählte,
hatte er eine flüchtige Veränderung bemerkt, ein verstohlenes
Grinsen, das einen Mundwinkel des Heilers kräuselte. Sollte er . . .?
Nein, das war undenkbar.
2
Kriminalsekretär Robert
Walther holte ihn ab. Leo hatte sich kurz gewaschen, ein frisches Hemd
übergezogen und Ilse Bescheid gesagt, die sich mit einem säuerlichen
Blick von ihm verabschiedet hatte. Dann war er die Treppe hinuntergeeilt
und in den dunkelblauen Dienstwagen gestiegen. Im Fond saßen die
Kriminalassistenten Stahnke und Berns, die Leo kannte und schätzte.
Es gab keine festen Mordkommissionen, sondern nur Ermittlergruppen, die
von einem Kommissar geleitet und für jeden Fall neu zusammengestellt
wurden. Daher war es Glückssache, wer einem zugeteilt wurde.
»Gott sei Dank, dass
sie dich geschickt haben und nicht von Malchow«, sagte Leo zu
Walther, nachdem er sich auf dem Beifahrersitz niedergelassen hatte.
Sein Kollege grinste ihn schräg
von der Seite an. »Ich glaube, der ist über Pfingsten
weggefahren.«
Leo antwortete mit einem
Knurren. »Für den besteht das Leben nur aus Feiertagen.«
Er schwieg eine Weile. »Wer hat angerufen?«
»Das Charlottenburger
Revier. Die Haushälterin hat die Leiche gefunden und ist auf die Straße
gerannt. Zum Glück kam gerade
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