Leopardenblut (German Edition)
beschatten hatte sie mehr ausgelaugt, als sie erwartet hatte. Es würde mindestens noch einen Tag dauern, bis sie sich genug erholt hatte, um ihren Plan auszuführen. „Ich werde nur noch ein paar Tage durchhalten können.“ Der Druck in ihr wurde von Minute zu Minute stärker. „Wir müssen vorher handeln oder sie werden alles über mich herausfinden und versuchen, mich einzusperren.“
Die katzengrünen Augen wurden zu Schlitzen. „Niemand wird dich einsperren.“ Er ging um den Tisch herum und küsste sie vor den Augen seiner Leute. Und nicht bloß zart auf die Wange. Sie griff nach seiner Taille, während er sie unendlich sinnlich und besitzergreifend küsste.
Kurz darauf war er weg und sie sehnte sich nach ihm. Die Gesichter der beiden Wächter zeigten keine Regung. Vaughn machte ihr Angst. Er war nicht so kalt und distanziert wie Clay, aber hinter seinen Augen lauerte eine so große Dunkelheit, dass sie sich fragte, wie nahe an der Oberfläche sein Tier saß.
Mercy war etwas zugänglicher, aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass die Wächter sie loswerden wollten. Sie konnte es ihnen nicht verdenken. Gehörte sie doch einer Rasse an, die den schlimmsten Abschaum unterstützte. Wer konnte wissen, in was sie Lucas da hineinzog?
„Sind Sie hauptsächlich zu meinem Schutz hier?“, fragte sie im Bewusstsein, dass sie die einzige verletzliche Person im Raum war.
Beide nickten.
„Vielen Dank.“ Sie legte die Hände auf den Tisch und zwang sich, dem männlichen Wächter in die Augen zu sehen. „Ich weiß, dass Lucas jemand anderen braucht als mich, aber lassen sie ihn mir noch ein paar Tage. Danach werde ich kein Problem mehr sein.“ Sie wollte das Wundervolle, das sie erlebte, nicht durch Selbstmitleid zerstören, aber das waren nun mal die Tatsachen.
Die Gestaltwandler wussten nicht, dass die Ausläufer des Medialnets ihre Augen und Ohren in jedem Winkel der Welt hatten, Schatten im Schatten waren. Sie konnte ihnen unmöglich entgehen, selbst wenn ihr Verstand die Trennung überlebte.
Wo immer sie hinginge, was immer sie tun würde, sie würden sie finden. Jeder Abtrünnige wurde verfolgt, um das Silentium-Programm nicht zu gefährden. Und ihr Fall wog besonders schwer – sie war Nikitas Tochter. Sie wusste nicht nur zu viel, sondern ihr Defekt traf das unbesiegbare Bild des Rats mitten ins Herz.
Vaughn beugte sich vor. Die beinahe goldfarbenen Augen waren ausschließlich auf sie gerichtet. „Wenn ich glauben würde, Sie würden Lucas schaden, würde ich Ihnen nie die Gelegenheit dazu lassen.“
„Die Tatsache, dass ich immer noch atme, verdanke ich also Ihrem Vertrauen?“ Sascha würde sich nicht von ihm einschüchtern lassen, auch wenn die Härchen in ihrem Nacken sich vor Angst aufgestellt hatten.
Seine Lippen zuckten. „Nein.“
Mercy stellte die Kaffeetasse ab. „Hör auf, sie zu verwirren, Vaughn. Sie hat schon genug durchgemacht.“
„Ich glaube, unsere Mediale ist viel härter, als du denkst. Nicht wahr, das sind Sie doch, Sascha?“ Augen wie dunkles Gold suchten in ihrem Gesicht nach etwas, das sie selbst noch nicht kannte. Sie wusste nur, dass sie gerade von etwas weniger Zivilisiertem gemustert wurde.
„Sonst hätte ich nicht überlebt.“ Sascha hielt seinem Blick stand. „Schon als Kind wusste ich, sie würden mich in die Rehabilitation – eine Art Gehirnwäsche – stecken, wenn sie herausfänden, dass ich anders bin.“ Heute noch konnte sie die schlurfenden Schritte und das Gemurmel der Eingesperrten hören, die die Gänge des Zentrums durchstreiften.
Sie hätte weder diese Laute hören, noch die Kreaturen sehen sollen, die sie hervorbrachten, aber Nikita hatte die knapp zehnjährige Sascha dorthin mitgenommen. Nie würde sie die Worte ihrer Mutter vergessen: „Du musst vollkommen sein, Sascha. Das hier ist die Folge von Fehlern.“
Erst als Teenager hatte Sascha begriffen, warum Nikita so weit gegangen war. Sie musste den Defekt in ihrer Tochter bemerkt haben, hatte in sie hineingesehen, bevor sie alt genug war, sich zu schützen.
Nach außen hin hatte diese Härte funktioniert. Sascha war immer vollkommen gewesen. Sie hatte selbst Nikita davon überzeugen können, dass ihre fehlerhafte Tochter durch und durch eine Mediale geworden war. Bis ihr langsamer Verfall begonnen hatte.
„Ich kann nicht glauben, dass sie das ihren eigenen Leuten antun“, murmelte Mercy angeekelt. „Wie kann man nur ein solches Leben wählen. Ich wäre lieber tot.“
Bei
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