Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Luft heran und nagelte eine der Schwingen an den Bootsrumpf. Sofort stürzte die Leuthas Holz wieder ins Meer.
Als eine Ladung eiskalten Wassers über sie schwappte, wurde Lettie in einen Haufen alter Netze geschleudert. Prustend und zitternd rappelte sie sich wieder auf. Der gebrochene Flügel zuckte schwach. Die weißen Federn verdorrten, wurden schwarz und brachen in Flammen aus.
»Ich hab doch gesagt, du sollst meinen Anweisungen folgen!«, schrie Blüstav. »Das ist alles deine Schuld!«
»Was soll ich jetzt machen?«, raunte Lettie dem Wind zu. »Hilf mir!«
Aber der Wind antwortete nicht. Offenbar waren auch ihm die Ideen ausgegangen.
Lettie sah zu Noah hinüber. Um sie herum regnete es Federn und Harpunen, und immer wieder brachen frische Feuer aus. Nicht mehr lange und die Leuthas Holz würde den Flammen ganz zum Opfer fallen.
»Noah«, sagte Lettie. »Dein Boot … Es tut mir leid.«
Er wischte sich etwas aus dem Auge, zuckte mit den Schultern und schwieg.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Lettie.
Die wuchernden Flammen erleuchteten das Meer. Auf einmal war die Blutkübel zu sehen, nur einen Steinwurf entfernt. Unter Letties und Noahs Blicken wurden die Motoren angeworfen, und das Schiff schob sich langsam auf sie zu.
Lettie schluckte und griff nach Noahs Hand. Keine halbe Stunde zuvor hatte sie sich sicher und frei gefühlt. Und jetzt … Musste das Abenteuer wirklich so enden?
Die Leuthas Holz stöhnte, als läge sie im Sterben, und begann sich gefährlich zur Seite zu neigen. Noah weinte leise, und Lettie fühlte sich so schrecklich wie noch nie, weil sie wusste, was ihm dieses Schiff bedeutet hatte. Es war seine Freiheit, sein Zuhause, seine Urahnin.
Die Blutkübel bog längsseits bei. Walfänger schleuderten von oben Harpunen herab, an denen Seile befestigt waren. Und dann enterten sie die Leuthas Holz. Da war Rotz-Hotte Charlie mit seinen ewig triefenden Nasenlöchern – und einem Dolch zwischen den Zähnen. Da waren die Creechy-Zwillinge, jeder mit einem Entermesser, einer brennenden Fackel und sieben Fingern an jeder Hand. Da war die Glotzerin, die Silberpistole in den Rockbund gestopft. Und da war schließlich auch das Walross, das nach allen Seiten Tee verspritzte und sich an eine Bazooka klammerte, eine riesige Donnerbüchse aus dem Orient, mit der man winzige Dynamitstangen abfeuern konnte.
»Das gute Stück hatte Käpt’n McNulty in seiner Kabine hängen«, erklärte das Walross und strich liebevoll über die Bazooka. »Ohne sie würden wir immer noch in dem Eisberg feststecken, den du uns beschert hast.«
»Das war eher ein Rotzberg als ein Eisberg«, sagte Lettie, und das Walross verzog das Gesicht.
»Ich glaube, du hast da etwas, was uns gehört!«, keifte es.
Die Glotzerin ließ den Blick über das Deck wandern, bis er am leeren Koffer hängen blieb. »Wo ist er?«
»Hilfe!«, schrie Blüstav und zerrte an dem Knoten, mit dem er am Schiff festgebunden war.
Die Glotzerin fixierte ihn. »Ah«, sagte sie mit einem bösartigen Grinsen. »Da ist er ja.«
Die Creechy-Zwillinge schnaubten verächtlich, einer schnitzte ein C in die Decksplanken.
Noah kniff die Augen zusammen. »Sie zerkratzen da gerade meine Großmutter«, schimpfte er, aber die Zwillinge achteten gar nicht auf ihn.
»Sollen wir es aus ihm rausquetschen, Madam?«, wandten sie sich wie aus einem Munde an die Glotzerin.
Blüstav wimmerte. Und plötzlich spürte Lettie eine neue Kraft in sich aufsteigen. Ihr alter Gastwirtinnen-Instinkt kam wieder durch: Ich bin hier verantwortlich, und es liegt an mir, alles in Ordnung zu bringen.
»Lassen Sie ihn in Ruhe!«, rief sie. »Was hat er Ihnen denn getan?«
»Wie bitte?!«, kreischte das Walross. Dampf drang unter ihrer Perücke hervor. Sie legte den Zeigefinger an den Abzug der Bazooka und zielte damit auf Blüstav, der sich entsetzt zusammenkrümmte. »Der Mann hat meinen Kopf in eine Teekanne verwandelt!«
Die Glotzerin wandte sich an die Walfänger. »Holt mir die Wolke, die er unter dem Mantel hat, ihr elenden Seeratten. Dafür fülle ich euch den Laderaum mit Diamanten!«
Die Crechy-Zwillinge lachten, und Rotz-Hotte Charlie grinste.
»Wagt es ja nicht!«, schrie Lettie ängstlich. »Das ist gegen das Gesetz! Und niemand steht über dem Gesetz!«
Einer der Creechy-Zwillinge hielt inne und legte nachdenklich das Entermesser an die Lippen. »Das ist schon möglich …«, sagte er.
»… aber andererseits gilt das Gesetz nur in Tauschdorf«, warf
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