Letzte Beichte
geprägt.
Als Jeremy das Licht der Welt erblickte, hatten sie in einer Wohnung nahe der Tower Bridge gewohnt – ähnlich wie jetzt Jeremy und Amanda. Als sie mit ihrem hübschen kleinen Jungen aus dem Krankenhaus gekommen waren, hatte Richard ihn gefilmt, während sie ihm sein neues Zuhause zeigten.
»Das hier ist dein Zimmer, Jer!« hatte Richard aufgeregt gesagt. »Das ist dein Panda, und das ist dein süßes Strampeldings, und hier wird deine Mutti dir den Popo abwischen.«
»Wird dein Papi dir den Popo abwischen!« hatte Anne gesagt. Sie hatten gelacht, wie so oft in jenen Tagen.
Das erste Jahr war nicht die Hölle gewesen, vor der man Anne gewarnt hatte. Im Gegenteil, es war das glücklichste Jahr ihres Lebens gewesen. Sie hatte sich zwölf Monate lang beurlauben lassen und viel Zeit damit verbracht, ihren Sohn zu bewundern. Sie hatte ihm in die Augen geschaut und ehrfürchtig seine Klugheit bestaunt. Er war hübsch, und er benahm sich sehr gut. Zwischen Mutter und Kind passte kein Blatt Papier.
Als Jeremy dreieinhalb Jahre alt war, hatten sie sich am Stadtrand von Oxford ein nagelneues Architektenhaus bauen lassen, mit Blick über die Felder. Jeremy war für sein Leben gern durch den riesigen Garten gerannt und hatte allerlei Sachen gesammelt: gerade Stöcke zum Beispiel und kleine Spinnen, die er in einer Kiste unter seinem Bett aufbewahrte. Jeden Tag kamen neue Fundstücke hinzu, die er stolz sichtete und neu sortierte, sodass sie ihm gut zusammenzupassen schienen.
Eines Tages, als Jeremy fast vier Jahre alt war und gerade seine Stöcke nach Geradheit und Länge sortierte, kam seine Mutter ins Zimmer und hielt etwas im Arm: ein Baby, seine Schwester. Und was für ein Prachtstück von Mädchen das war!
»Sieh dir ihre Augen an!« sagte seine Mutter, die selbst völlig außerstande war, den Blick auch nur eine Sekunde lang vondem Baby zu wenden und sein neues Stocksystem zu bewundern.
Jeremy hatte verschwommene Erinnerungen an seine Mutter, ehe das Baby auf die Welt gekommen war. Er sah sie vor sich, wie sie Kartoffelbrei mit Würstchen und Tomatenketchup für ihn machte. Er konnte sich selbst noch sagen hören: »Du bist mein bestes Mädchen«, und er glaubte ihr lächelndes Gesicht zu sehen, wenn sie geantwortet hatte: »Ja, mein Schatz, das bin ich, und du bist mein bester Junge.« Er konnte sich daran erinnern, dass er im Park mit ihr Verstecken gespielt hatte, und wie sie ihm abends Geschichten vorgelesen hatte. Er erinnerte sich auch daran, dass sie sich immer sehr für seine Stocksammlung interessiert hatte, und wie sie abends in der Küche gelacht und getanzt hatte – eine halbvolle Flasche Pinot Grigio auf dem Frühstückstresen.
Aber all das hatte sich geändert, sobald seine Schwester im Haus war.
»Bella« wurde sie gerufen. Sie hatte dichtes, dunkles Haar und eine platte Nase, und sie schrie. Und schrie. Und das Lachen und Tanzen in der Küche verwandelte sich in Gebrüll und Geschrei. An die Stelle der Spaziergänge im Park traten verzweifelte Autofahrten durch die Stadt, bis Bella endlich einschlief.
Und was seine Stocksammlung anging, so erinnerte sich Jeremy deutlich daran, dass seine Mutter einen noch nie zuvor gehörten Tonfall angeschlagen hatte, als sie schrie: »Herrgott noch mal, Jeremy, deine dämlichen Stöcke haben im ganzen Haus Dreck verteilt!«
Als er zu weinen anfing, hatte seine Mutter zum ersten Mal seit einer Woche freundlich mit ihm gesprochen. »Es tut mir sehr leid, mein Kleiner. Ich habe es nicht so gemeint. Ich bin bloß müde. Deine kleine Schwester hält mich die ganze Nacht lang wach mit ihrem hungrigen Bäuchlein und ihren Windeln.«
»Na, dann benutz einfach keine Windeln.«
»Ich muss, Schatz. Sie pullert da rein und macht sich ganz nass, und dann fühlt sie sich unwohl, und deshalb weint sie.Es tut mir leid, ich bin einfach sehr müde, weil niemand da ist, der mir hilft. Ich habe dich sehr lieb, mein Kleiner, das weißt du doch, oder? Ich liebe dich mehr denn je, und die kleine Bella ändert gar nichts daran. Ich bin bloß müde, sonst nichts.«
Danach ging Jeremy ohne Gutenachtgeschichte schlafen. Seine Mami tat ihm leid. Wie konnte er ihr helfen? Er lag stundenlang wach und dachte über diese Frage nach, und als Bella mitten in der Nacht ihr durchdringendes Geschrei anstimmte, kam ihm eine Idee.
Er würde ihre Windel trocknen, und seine Mami würde überhaupt nicht aufwachen müssen.
Er schlich sich in Bellas Kinderzimmer und schaute in ihr
Weitere Kostenlose Bücher