Letzte Beichte
dass Jeremy nach London gefahren war. Auch ihren Freunden hatte sie nichts gesagt, denn dies war ihre Hochzeitsreise, und das Haus war allein für sie und Jeremy da. Also wartete sie und starrte auf die Schleuse draußen und versuchte zu verstehen, was am Segeln und am Baden in schwachbrüstigen Whirlpools dran war.
Am zweiten Morgen weckte sie das Klingeln des Telefons. IhrSüßer war dran: Es tue ihm sehr leid, aber er müsse bei seiner Mutter bleiben. Sie müsse einige Untersuchungen über sich ergehen lassen und lehne es immer noch ab, irgendjemanden zu sehen.
»Ich kann zu dir kommen!« sagte Amanda, aber er bestand darauf, dass sie bliebe und auf ihn warte. »Wenigstens einer von uns beiden soll etwas von dem Haus haben«, meinte er.
Als sie so allein in Crinan saß, dachte Amanda über Jeremys Beziehung zu seiner Mutter nach. Dass es ernsthafte Schwierigkeiten zwischen den beiden gab, hatte sie zum ersten Mal gemerkt, als sie sich zum Heiraten entschlossen hatten und Jeremy darauf bestand, sie nicht einzuladen. Er hatte sogar noch hartnäckiger darauf bestanden, nicht darüber zu sprechen.
»Sie kommt sowieso nicht«, hatte er gesagt. »Es ist sinnlos. Wir verstehen uns einfach nicht.«
Mehr sagte er dazu nicht. »Lass uns bitte nicht mehr darüber sprechen«, sagte er.
Amanda nahm an, dass sie sich auseinandergelebt hätten, und sie beschloss, die Initiative zu ergreifen. Eines Nachmittags, als Jeremy arbeitete, besuchte sie heimlich seine Mutter.
Jeremys Mutter wohnte in einem kleinen Reihenhaus in Haringey: eine dünne, verlebt wirkende Frau, die gebügelte Hosen und ein enges weißes T-Shirt zu einer körpernah geschnittenen rosa Strickjacke trug. Sie roch stark nach Alkohol und Zigaretten. Ihre hageren, zerfurchten Gesichtszüge waren zu einer Miene der Missbilligung geronnen. Amanda, die das unfreundliche Auftreten von Jeremys Mutter verunsicherte, stellte sich nervös vor. Jeremys Mutter verzog das Gesicht und winkte sie schließlich in die Wohnung. Die antiken Möbel, mit denen alles vollgestopft war, ließen auf den Wohlstand früherer Generationen schließen. Ein Lichtstrahl fiel durch den kaum geöffneten Vorhang und durchschnitt den Staub und den Qualm, die die Luft des überfüllten Zimmers anreicherten.
Amanda erzählte Mrs. Bagshaw, dass Jeremy und sie heiraten wollten.
»Über Ihr Kommen würden wir uns sehr freuen«, sagte sie und reichte ihr eine Einladungskarte, die sie eigens am Computer entworfen und ausgedruckt hatte. »Werden Sie kommen?«
Mrs. Bagshaw setzte sich in eine Ecke des Zimmers, zündete sich eine Zigarette an und schenkte sich puren Gin ein. Sie inhalierte so energisch, dass das knisternde Ende ihrer Marlboro sich buchstäblich krümmte, und stieß weniger Rauch aus, als Amanda nach einem so kräftigen Zug erwartet hätte. Sie sagte: »Ich will Ihnen erzählen, was Ihr Verlobter getan hat.«
Der Aschekegel haftete weiter an ihrer Zigarette, als Mrs. Bagshaw ihre Hälfte einer schrecklichen Geschichte erzählte.
»Ich werde nicht kommen«, sagte sie, als sie fertig war und fünf Zentimeter grauer Schlacke in den überquellenden Aschenbecher schnippte. »Und ich würde es vorziehen, wenn Sie mich nicht mehr besuchten.«
Auf dem Heimweg in der U-Bahn versuchte Amanda gar nicht erst, das Weinen zu unterdrücken. Sie war tief erschüttert – wegen Mrs. Bagshaw, aber noch mehr wegen ihres geliebten Jeremy. Sie eilte in ihre gemeinsame Wohnung in Islington, beichtete unverzüglich ihre geheime Mission, schlang ihre Arme um Jeremy und sagte ihm, wie leid ihr das alles tue: Es tut mir so leid, bitte umarme mich, bitte umarme mich, bitte sprich mit mir.
Also umarmte Jeremy sie, und dann erzählte er ihr seine Hälfte der Geschichte.
Als sie in Crinan allein am Fenster saß, setzte Amanda die beiden Geschichten in ihrem Kopf zu einem Ganzen zusammen und versuchte, sich die schrecklichen Ereignisse in Jeremys Kindheit vorzustellen.
Jeremys Eltern waren sich auf Reisen in Neuseeland begegnet. Dann hatten sie sich in London niedergelassen und dort ein glückliches Leben ohne materielle Sorgen geführt. Richard, Jeremys Vater, war Steuerberater. Anne, seine Mutter, hatte als Anwältin gearbeitet. Ehe Richard und Anne Kinder hatten,waren sie gern gereist und hatten oft Freunde eingeladen. Sie hatten Händchen gehalten, auf dem Sofa gekuschelt und jede Nacht mindestens acht Stunden lang friedlich geschlafen. Liebe und Lachen, Leidenschaft und Enthusiasmus hatten ihr Leben
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