Letzte Beichte
hinterlassen: Sie werde an einer Fortbildung teilnehmen und deshalb nicht im Büro sein. Ich musste lachen, als ich sah, um was für eine Fortbildung es sich handelte: »Fehlstunden-Management – wie Sie mit den Fehlzeiten Ihrer Mitarbeiter umgehen und diese reduzieren können.« »Bei Fragen wende Dich bitte an Eileen« – mit diesen Worten endete die Nachricht.
Ich hatte keine Ahnung, wer Eileen sei, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie entweder krankgeschrieben, in einer Besprechung oder bei einer Fortbildung war. Oder dass sich eine lange Schlange hyperventilierender Kinderschutzmitarbeiter vor ihrer Tür gebildet hatte.
Es folgte die übliche Kippe samt Tratsch. Ich lauschte Robert, der ein selbstverfasstes Lied über ein berühmtes Model zum Besten gab, und blätterte in meinen neuen Fällen.
Der erste war ein Lebenslänglicher, fünfundfünfzig Jahre alt. Als Zwanzigjähriger hatte er sein Baby zu Tode geschüttelt – seine Rechtfertigung lautete, dass seine Freundin ihn niemals auf das schreiende Kind hätte aufpassen lassen dürfen. Er hatte zehn Jahre bekommen und war seit seiner Entlassung wegen alkoholbedingter Straftaten dreimal wieder im Gefängnis gewesen: Trunkenheit am Steuer, Tätlichkeit und Landfriedensbruch.
»Ach, der. Das war mal meiner«, sagte Danny. »Ich habe Hilary gebeten, ihn mir nicht mehr zu geben, weil sein Sofa so klebt.«
»Danke, Dan«, sagte ich und blätterte in den zwei anderen Fällen: eine ältere Asiatin, die mit fremden Kreditkarten Marmor im Wert von 13 000 £ für ihre Küche, ihre Diele, ihr Badezimmer, Duschbad und Wohnzimmer gekauft hatte, und ein siebzehnjähriges Mädchen, das sein Elternhaus absichtlich in Brand gesteckt hatte (»weil sie schlecht gelaunt war«); ihr Cousin war seitdem chronisch krank und stark entstellt.
Ich hatte gerade einen Stapel Briefe verschickt, in denen ich mich vorstellte und die Empfänger bat, mich im Büro aufzusuchen, als das Telefon klingelte. Es war Jeremys Mutter, Mrs. Bagshaw. Und sie war in Glasgow.
Eine Stunde später traf ich vor einem gläsernen Gebäude ein, den »Clyde View Self-Catering Apartments«. Mrs. Bagshaw wohnte in Nummer zwölf, einer modernen Wohnung mit Aussicht auf den trüben Clyde River.
»Was für ein Blick!« sagte ich in dem Versuch, ihre Zuneigung zu gewinnen.
Es brauchte eine Tasse Tee und mehrere Minuten, ehe unsere Unterhaltung sich den drängenderen Themen Mord und Selbstmord zuwandte.
Anne Bagshaw war eine kalte, starke Frau mit strengen, wenig liebenswerten Gesichtszügen. Ihre Kleidung war zu oft gebügelt worden, und sie roch nach Gin. Sie erkundigte sich auf eine mir befremdlich erscheinende Weise nach ihrem Sohn, wollte etwas über die Details der Tat erfahren, die ihn ins Gefängnis gebracht hatte, und fragte nach der Art seiner Verletzungen. »Hat man ihn auf die Stirn geschlagen?« fragte sie, als ich ihr sagte, dass er verprügelt worden sei.
Ich konnte verstehen, dass Anne Bagshaw Schwierigkeiten damit hatte, über ihren Sohn zu sprechen. Ihr Leben war durch Bellas Tod entzweigerissen worden, und die Umstände ihres Todes mussten sie ständig heimsuchen.
Aber sollte sie nicht auch etwas für ihren Sohn empfinden? Ich hatte mich gefragt, welche Gefühle ich für Robbie empfinden würde, wenn er als Kleinkind etwas Schreckliches tunwürde, und ich glaubte, dass er mir leid tun würde, dass ich ihn noch mehr lieben würde und alles täte, um ihn vor den Schuldgefühlen und dem Schmerz zu beschützen, die das Geschehene ihn im ausgelöst haben würde. Aber ich hatte gut reden: Mir war so etwas nie widerfahren.
Selbst wenn man von der Vergangenheit absah, überraschte mich Anne Bagshaws Mangel an Anteilnahme. Warum stellte sie so skurrile Fragen? Was bedeutete das alles schon? Ihr Sohn, ihr kleiner Junge, den sie einmal von ganzem Herzen geliebt, dem sie die Brust gegeben und den sie auf der Schaukel angeschubst hatte – er saß nun wegen Mordes in U-Haft. Noch hatte man ihn nicht schuldig gesprochen. Er war verprügelt und vielleicht vergewaltigt worden. Und er hatte sich umbringen wollen.
»Sie müssen ihn sehr lieben«, sagte ich, und mein Tonfall bezichtigte sie des Gegenteils.
»Nein«, sagte sie rundheraus. »Und es ist sehr schwierig, wenn man sein Kind nicht liebt. Es ist schwierig, weil man sich schuldig fühlt. Schwierig, weil das Kind immer da ist. In meinem Fall ist es schwierig, weil ich einen sehr guten Grund habe, ihn nicht zu lieben. Bella konnte
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