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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Bett zurückgeblieben: mit hochgezogenem T-Shirt, entblößter rechter Brust und weit gespreizten Beinen. How Deep is Your Love triefte aus dem Radio,während eine zitternde Lernschwester etwas, das wie ein großer Klumpen Leber aussah, zwischen ihren Beinen hervorzog und auf den Labortisch unter dem Fenster klatschte.
    So waren sie sich also zum ersten Mal begegnet, Bridget und Amanda. Und wenngleich sie herzzerreißend und tragisch und verstörend und unvergesslich gewesen war, diese erste Begegnung, so war sie doch nichts im Vergleich zu der zweiten.

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26
    Rückblickend frage ich mich, ob ich es damals geschafft hätte, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Amanda nicht wiederzusehen. Keine Fragen über ihre leibliche Mutter, die verstorbene Bridget McGivern, zu stellen. Jeremy nicht zu besuchen.
    Hätte ich die Sache einfach auf sich beruhen lassen, wenn Billy Mullen nicht kurz vor dem Prozess plötzlich auf meiner Türschwelle gestanden hätte? Billy Mullen, der (wie ich später herausfand) Jeremys Zellengenosse gewesen war. Billy Mullen, der vor Jahren mit Chas in der Küche von Sandhill gearbeitet hatte.
    Billy war gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt und ein schmächtiges, zu kurz geratenes Großmaul. Er trug grelle Designerklamotten, die seinen Status als Glasgower Kleinkrimineller bekundeten. Das Gleiche galt für seine Narben: gemäß den Traditionen in Sandhill hatte er eine auf seiner rechten Wange und eine auf seinem rechten Oberschenkel. Letztere zeigte er bei jeder nur denkbaren Gelegenheit vor, obwohl er dazu seine Jeans ausziehen musste und obwohl sie immer noch an der Stelle entzündet war, »wo dieses Arschloch mich mit der Machete erwischt hat«.
    Billy Mullen klopfte eines Abends um acht Uhr an meine Tür. Ich war gerade nach Hause gekommen, und hinter mir lag ein langer Arbeitstag: Ich hatte mehrere Klienten besucht, diverse Berichte begonnen sowie Jeremys Gutachten um einige Informationen ergänzt (seinen Selbstmordversuch und die Anmerkung, dass seine Frau ihn immer noch liebevoll unterstütze). Nachdem ich mich über Jeremys mutmaßliches Opfer imInternet schlaugemacht hatte, hatte ich das Gutachten ausgedruckt und unterschrieben, es in einen Umschlag gesteckt und auf meinen Schreibtisch gelegt. Mehrfach im Verlauf des Tages hatte ich mich dabei ertappt, dass ich mit den Fingern darauf herumtrommelte. Ich wusste, dass ich den Umschlag abschicken musste, aber ich wusste auch, dass ich das nicht konnte.
    »Ist der Große da?« fragte Billy, als ich die Tür öffnete.
    »Bitte?« fragte ich.
    »Der Große?«
    »Wer?«
    »Bist du Krissie?«
    »Warum wollen Sie das wissen?« fragte ich.
    Plötzlich hörte er auf mit den Fragen und knipste seinen Charme an. Glasgow-Slang: lauter »ochs« und »you knows«, alles so rhythmisch und unverständlich wie Rap. Nach einer Weile dämmerte mir, dass er Chas aus seiner Zeit im Gefängnis kannte.
    Gerade wollte ich die Existenz von jemandem namens »Großer« leugnen und Billy die Tür vor der Nase zuschlagen, als Chas mich und meinen Plan mit einem »Ja, Scheiße auch!« und einer ungestümen Umarmung zur Seite schob.
    Streit Nummer drei.
    Und diesmal würde es keiner sein, der schnell vorbei war.
    Ich wusch Robbie vor dem Schlafengehen mehrmals die Hände. Währenddessen quasselte Chas mit Billy Mullen, der mir mit seinem zerschrammten, zerschnittenen, irgendwie außerirdisch wirkenden Schädel ebenso Angst machte wie damit, dass er dauernd seine Jeans herunterließ, um mit seiner kaum verschorften Machetennarbe anzugeben. Dreimal hatte er sie entblößt und uns gezeigt – erst Chas, dann mir und schließlich Robbie, der sie ANGEFASST HATTE !
    Auch Chas hatte sich in einen Außerirdischen verwandelt. Nachdem ich den widerstrebenden Robbie ins Bett gebracht hatte, lauschte ich einen Moment lang an der Wohnzimmertür. Mir fiel auf, dass sogar Chas’ Akzent sich verändert hatte. Ein piekfeiner Knabe aus Edinburgh, der auf eine Privatschule gegangen war und Tennis gespielt hatte und der jetzt Wörter wie »dicke Latte« benutzte und sich über Billys Geschichten von »ausgeleierten Dosen« und »strammen Ständern« lautstark amüsierte? Wer war dieser Mann?
    Ich ging für eine Stunde in die Küche und kochte vor mich hin, während die beiden fünf Flaschen Bier tranken (jeder) und so laut lachten, dass ich mir sicher war, dass sie Robbie wecken würden. Ich stapfte mindestens zweimal lautstark an der Wohnzimmertür vorbei, und sie zuckten

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