Letzte Ehre
schließlich durch offenes Land. Die Gegend war flach und sehr, sehr dunkel. Hin und wieder schoß ein erleuchtetes Gebäude wie eine schimmernde Fata Morgana aus der Schwärze. Wir fuhren an etwas vorüber, was die Restaurantzeile gewesen sein muß: ein Steakhaus nach dem anderen, so bunt beleuchtet wie eine der Hauptstraßen von Las Vegas. Schließlich kam ein großes Hotel für Geschäftsreisende in Sicht, eine dieser geschmacklosen Bettenburgen, bei denen der Zimmerpreis — Einzelzimmer $ 69,95 - gleich unterhalb des Namens steht. Die roten Neonbuchstaben des Desert Castle schienen sich von Farbe zu leeren und gleich wieder zu füllen. Im Negativ stand auf dem Schild Schlummern wie ein alter Ritter. Oh, bitte. Das Logo bestand aus den Umrissen zweier grüner Neonpalmen, die einen roten Neonturm mit Zinnen flankierten.
Wir passierten eine Oase mit hohen Palmen, die um eine Attrappe des auf dem Hotelgebäude abgebildeten Turms herumstanden, ein Bauwerk aus falschem Stein mitsamt einem leeren Burggraben und einer Zugbrücke. Als der Zubringerbus am Zu- und Aussteigeplatz für Hotelgäste anhielt, blieb ich zurück, bis man Laura Huckaby (alias Hudson) aus dem Wagen geholfen hatte. Es schienen keine Pagen im Dienst zu sein. Der Mann im Straßenanzug nahm seine Aktentasche und seinen Kleidersack. Wir drei betraten durch Drehtüren die Hotelhalle, ich als letzte. Außer dem Matchsack hatte Laura Huckaby kein Gepäck.
Drinnen kam das »Merrie-aulde-England«-Motiv zu voller Geltung. Alles war karmesinrot und golden, schwere Samtportieren, Zinnen aus Stuck und Tapisserien an Metallspießen, die aus den »Schloßmauern« ragten. Neben den Aufzügen wies ein Pfeil den Weg zu den Toiletten, die mit »Knappen« und »Mägde« bezeichnet waren. An der Rezeption sorgte ich dafür, daß ich als dritte an die Reihe kam, da ich Laura Huckabys Aufmerksamkeit nicht auf mich lenken wollte. Angesichts der Zimmerpreise konnte ich mir einen Aufenthalt von vielleicht zwei Nächten leisten, müßte mich aber bei zusätzlichen Ausgaben zurückhalten. Ich hatte keine Ahnung, wie lange Laura Huckaby hier bleiben würde. Sie brachte die Anmeldeformalitäten hinter sich und ging mit dem Matchsack im Schlepptau auf die Aufzüge zu. Indem ich den Hals etwas reckte, konnte ich erkennen, daß über den Aufzügen eine Reihe waagerechter Lichter angebracht waren, die anzeigten, wo sich der Aufzug gerade aufhielt. Sie betrat den ersten Aufzug, und als sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten, murmelte ich niemand Bestimmtem »Bin gleich wieder da« zu und eilte dorthin. Das rote Licht schritt systematisch von einer Etage zur anderen weiter und blieb bei der zwölften stehen.
Ich kam in dem Moment an die Rezeption zurück, als der Mann vor mir mit seiner Anmeldung fertig war und zu den Aufzügen ging. Ich trat an die Theke. Angesichts der Dekoration hätte ich erwartet, daß die Angestellte einen Schleier oder wenigstens ein Mieder trug. Statt dessen hatte sie das klassische Hotel-Ensemble an: weiße Bluse, marineblauer Blazer und ein schlichter marineblauer Rock. Auf ihrem Namensschild stand Vikki Biggs, Nachtdienst. Sie war Mitte Zwanzig, vermutlich neu hier und deshalb zur Nachtschicht abkommandiert worden. Sie gab mir ein Formular zum Ausfüllen. Ich kritzelte Namen und Adresse hin und sah ihr zu, wie sie eine Kreditkartenquittung ausstellte.
Sie warf einen Blick auf die Adresse, als sie die Quittung an das Anmeldeformular heftete. »Mein Gott. Heute nacht kommen aber auch alle aus Kalifornien«, sagte sie. »Die andere Frau kam auch aus Santa Teresa.«
»Ich weiß. Wir reisen zusammen. Sie ist meine Schwägerin. Könnten Sie mir vielleicht ein Zimmer auf demselben Stockwerk wie ihr geben?«
»Mal sehen, was sich machen läßt«, meinte sie. Sie tippte ein paar Zeilen in die allgegenwärtige Tastatur ein und betrachtete nachdenklich den Bildschirm. Manchmal möchte ich mich über die Theke lehnen und selbst nachsehen. Aus Vikkis Perspektive waren die Neuigkeiten nicht so günstig. »Tut mir leid, aber dieses Stockwerk ist voll. Ich habe noch ein Zimmer im achten.«
»Ist mir recht«, sagte ich. Und dann, wie nachträglich: »Welche Zimmernummer hat sie?« Als hätte Vikki Biggs sie soeben erwähnt, und sie wäre mir lediglich entfallen.
Ms. Biggs war nicht auf den Kopf gefallen. Offensichtlich hatte ich soeben im Hotelmanagement streng verbotenes Terrain betreten. Sie verzog mit einem bedauernden Blick den Mund. »Ich darf leider
Weitere Kostenlose Bücher