Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
hinüber zu dem Karussell, auf dem das Gepäck ankommen würde. Mir war nicht klar, was sich abspielte. Hatte sie seit jeher geplant, hier schon auszusteigen? War ihr Koffer bis nach Palm Beach aufgegeben worden oder nur bis Dallas/Fort Worth? Eine Reihe aneinanderhängender Chrom-Kunstleder-Stühle stand zur Linken. In einer Ecke war ein Fernsehgerät oben an der Wand angebracht, und die meisten Köpfe reckten sich in diese Richtung. In schreienden Farben war ein jüngst erfolgter Flugzeugabsturz zu sehen, und in einer grell beleuchteten Landschaft stieg der schwarze Rauch noch von dem verkohlten Flugzeugrumpf auf. Die Reporterin sprach direkt in die Kamera. Sie trug einen Mantel aus Kamelhaar, und Schnee umwehte sie. Der Wind peitschte durch ihr Haar und färbte ihre Wangen leuchtend rot. Der Ton war kaum hörbar, aber uns war allen klar, wovon die Rede war. Ich ging zum Trinkbrunnen hinüber und trank ausgiebig und geräuschvoll.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Laura Huckaby auf das an der Wand befestigte Telefonbuch zuging, wo sie eine Liste von Hinweisen dafür durchlas, wie man den Zubringerdienst für die zahlreichen Hotels in der Umgebung rief. Sie griff nach dem Telefonhörer und drückte vier Ziffern. Ein kurzes Gespräch folgte. Ich wartete, bis sie wieder aufgelegt hatte, setzte mich auf ihre Spur und folgte ihr, als sie auf die Rolltreppe zuging. Wir fuhren ins Erdgeschoß hinab, wo wir mehrere Glastüren durchschritten.
    Die Nachtluft draußen war erstaunlich kalt. Trotz der künstlichen Beleuchtung lag eine umfassende Düsternis über dem Abholplatz. Zwischen Gehsteig und Gebäude waren Landschaftsgärtner am Werk gewesen. Die gesamte gelbbraune Fassade entlang waren in akkurat angeordneten Abständen Grasbüschel gepflanzt, wie die Bäusche bei einer Haartransplantation. Ich ging bis zu der Stelle, wo das Schild »Hotelzubringer« stand, drehte mich um, wartete und sah geduldig die Straße hinunter. Laura Huckaby und ich nahmen keinen Blickkontakt auf. Sie wirkte müde und besorgt und zeigte keinerlei Interesse an ihren Mitreisenden. Einmal stöhnte sie auf und preßte sich eine Faust ins Kreuz. Zwei weitere Personen gesellten sich zu uns: ein untersetzter Herr in einem Geschäftsanzug, der eine Aktentasche und einen Kleidersack schleppte, und ein junges Mädchen in einem Skiparka mit einem vollgestopften Rucksack. Ein paar Autos fuhren mit solcher Geschwindigkeit vorbei, daß uns eine Brise aus Auspuffgasen um die Füße wirbelte. Zu dieser frühen Morgenstunde hatte der Luftverkehr abgenommen, aber ich konnte immer noch hin und wieder das dumpfe Dröhnen von Jets beim Abheben hören. ‘
    Nach und nach fuhren mehrere Hotelzubringer an uns vorbei. Sie versuchte nicht, einen davon anzuhalten, ebensowenig wie die anderen beiden, die mit uns warteten. Endlich kam ein roter Kleinbus um die Ecke gefahren. Auf der Seite stand neben einer symbolischen Schloßsilhouette in schwungvollen Goldbuchstaben The Desert Castle. Laura Huckaby hob die Hand und winkte dem Wagen. Der Fahrer sah die Geste und hielt am Straßenrand. Er stieg aus dem Bus und half dem Geschäftsmann mit seinem Gepäck, während sie und ich einstiegen und der Geschäftsmann uns folgte. Die junge Frau mit dem Rucksack blieb, wo sie war, den Blick nach wie vor ängstlich auf herannahende Fahrzeuge gerichtet. Ich setzte mich auf einen Platz am hinteren Ende des verdunkelten Busses. Laura Huckaby nahm schließlich vorne Platz und stützte erschöpft die Wange auf die Handfläche. Der größte Teil ihres Haares hatte sich aus dem Knoten auf ihrem Kopf gelöst.
    Der Fahrer kehrte zu seinem Platz zurück und schloß die Tür. Dann nahm er ein Klemmbrett zur Hand und drehte sich halb zu uns um, um die Namen auf seiner Liste zu bestätigen. »Wheeler?«
    »Hier.« Das war der Geschäftsmann im Straßenanzug.
    »Hudson?«
    Zu meinem Erstaunen hob Laura Huckaby die Hand. Hudson? Wie war es dazu gekommen? Interessante Entwicklung. Nicht genug damit, daß sie in einer Stadt das Flugzeug verlassen hatte, die gar nicht ihr ursprünglicher Zielort war, hatte sie offenbar auch unter einem anderen Namen ein Hotelzimmer reserviert. Was versuchte sie hier zu drehen?
    »Ich bin mit jemandem verabredet«, sagte ich als Antwort auf seinen fragenden Blick.
    Der Fahrer nickte, legte das Klemmbrett beiseite, legte einen Gang ein und fuhr los. Wir folgten einem komplizierten Kurs aus kreuz und quer verlaufenden Fahrspuren um das Flughafengebäude herum und rasten

Weitere Kostenlose Bücher