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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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helfen. Er weiß, daß Gilbert mich schlägt. Ich muß verschwinden, bevor er mich umbringt.«
    »Ich verstehe, Herzchen, aber Gilbert ist ein Wahnsinniger. Das wird ihm nicht gefallen. Wenn er es herausfindet, möchte ich lieber nicht wissen, was er tut, um abzurechnen. Jetzt komm und laß uns reden. Vielleicht finden wir ja einen Weg, wie wir dich da herausholen können.«
    Ich fand es herzzerreißend, wie er das Wort »wir« benutzte.
    Sie seufzte und setzte sich auf. Ohne die Maske ihres Make-ups wirkten ihre Augen, als wären sie in ihrem Gesicht einen guten Zentimeter nach oben verrutscht. Ihre Nase war verstopft, und ihre Stimme war in die tieferen Lagen abgesunken. Ihr Teint war in einem fleckigen Pink gefärbt, und ihre haselnußbraunen Augen leuchteten im Kontrast zum Dunkelrot ihrer Haare. Der dunkelgrüne Cordsamt-Trägerrrock war hoffnungslos zerknittert und der Kragen ihres weißen Rollkragenpullovers von Make-up verschmiert. »Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich mußte einfach weg.« Sie zog den Ärmel hoch. »Sieh dir das an. Ich bin grün und blau. Ich sehe schlimmer aus als du, mit dem Unterschied, daß es schon seit Monaten so geht.«
    »Du mußt dich von ihm trennen. Das ist keine Frage. Warum hast du es überhaupt mitgemacht?«
    »Weil ich keine Wahl hatte. Ich bin ins Frauenhaus gegangen. Zweimal habe ich mich bei Freunden versteckt. Mittlerweile sorgt er dafür, daß ich zu niemandem Kontakt habe. Ich muß über jede Minute Rechenschaft ablegen. Er läßt mich nicht arbeiten gehen. Ich darf kein eigenes Geld haben. Als ich das hier vor mir sah, wußte ich, daß es die einzige Chance war, die ich je haben werde. Ich dachte, wenn ich nur das Geld hätte. Wenn ich nur einen Weg wüßte, wie ich von ihm loskommen kann...«
    »Dann nimm das Geld«, sagte er. »Es gehört dir. Ich konnte es nicht glauben, als Kinsley deinen Namen erwähnt hat. Du kannst sie fragen. Ich war perplex...«
    »>Perplex< würde ich nicht sagen, aber er wurde ziemlich still.«
    »Ich hatte ja keine Ahnung, daß du mit in dieser Sache steckst«, fuhr er fort.
    »Was hätte das schon geändert?« sagte sie und schneuzte sich. Die Tatsache, ihn verblüfft zu haben, schien sie irgendwie zu trösten.
    »Ich wäre nie gekommen. Ich hätte dir die acht Riesen gelassen. Das meine ich ernst. Es gehört dir. Behalt es. Es ist ein Geschenk.«
    »Vergiß es. Ich will es nicht.«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, du hättest keine Wahl?«
    »O doch.«
    »Was denn?«
    »Ich weiß es nicht. Ich werde mit Farley darüber reden. Wir lassen uns etwas einfallen.«
    »Laura, sei doch nicht verrückt. Vorher warst du auch nur allzugern bereit, es zu nehmen. Warum jetzt nicht?«
    Sie fuhr ihn barsch an: »Ich war bereit, es zu nehmen, weil ich dachte, du hättest deine Freunde betrogen, um es zu kriegen. Ich dachte, es geschähe dir recht. Ich fand nicht, daß du es verdient hattest, nach dem, was du getan hast.«
    Langsam ging mir das Melodram auf die Nerven, und ich wünschte, sie würden es hinter sich bringen. »Warum teilen Sie sich nicht das Geld und beenden diese Debatte?«
    Ray schüttelte den Kopf. »Wir brauchen es nicht zu teilen. Sie kann die ganzen achttausend behalten. Ich kann immer noch nach Louisville fahren und nach dem Rest suchen.«
    »Wie groß sind Ihre Chancen, es nach vierzig Jahren zu finden?« fragte ich.
    »Vermutlich nicht besonders groß, aber mir wäre einfach wohler dabei, wenn sie genug hätte, um zu fliehen.«
    »Ray, ich habe gesagt, ich komme klar, und das werde ich auch«, sagte sie.
    »Warum läßt du mich nichts tun?«
    »Es ist zu spät.«
    Er wandte sich mit bestürztem Blick zu mir. »Reden Sie mit ihr. Sagen Sie es ihr. Ich begreife nicht, was in ihr vorgeht.«
    Ich sagte: »Es läuft folgendermaßen, Ray, und da können Sie mir vertrauen. Sie will Ihre Liebe. Sie will Bestätigung. Sie will, daß Sie sie um Verzeihung dafür bitten, was Sie ihr ein Leben lang zugemutet haben. Sie will weiter nichts mit Ihnen zu tun haben. Ganz sicher will sie keine Hilfe von Ihnen. Sie würde lieber sterben.«
    »Weshalb?«
    »Weil sie Ihnen nichts schuldig sein möchte«, fauchte ich.
    Er blickte wieder zu ihr. »Stimmt das, was sie sagt?«
    »Ich weiß nicht. Ich glaube schon.« Sie hielt inne, um sich die Augen zu wischen und sich noch einmal zu schneuzen. »Ich dachte, es wäre mehr. Ich dachte, du hättest Millionen. Ich habe mich darauf verlassen.«
    »Es waren nie Millionen. Hat Gilbert das

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