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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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greifenden Feuer den Rücken zuzukehren, aber ich hatte keine andere Wahl. Mit dem rechten Fuß tastete ich nach der ersten Sprosse und maß den Abstand, während ich mich von einer Sprosse zur nächsten abwärts bewegte. Ich trat den Abstieg mit Vorsicht an, da meine Hände an dem nassen Metallgeländer abrutschten. Herabhängende Ketten färbten sich in dem Licht golden, Funken stoben und blinkten wie vereinzelte Glühwürmchen in einer heißen Sommernacht. Mittlerweile lieferte das Feuer genug Licht, um zu sehen, wie sich die Luft infolge der zunehmenden Rauchkonzentration grau färbte.
    Ich erreichte das untere Ende der Leiter und wandte mich nach rechts. Das Feuer erhitzte die Luft auf ein unangenehmes Maß. Ich hörte ein knackendes Geräusch, zerbrechendes Glas, das fröhliche Knistern der Zerstörung, als die Flammen auf mich zutosten. Trotz der großzügigen Verwendung von Beton enthielt das Hotel genügend brennbare Stoffe, um der sich rasch ausbreitenden Feuersbrunst Nahrung zu geben. Ich vernahm das dumpfe Donnergrollen, als irgend etwas hinter mir nachgab und zusammenbrach. Dieser gesamte Teil des Hotels war offenbar von Flammen umgeben. Ich sah eine Tür zu meiner Linken und faßte nach dem Türknopf, der sich kühl anfühlte. Ich drehte ihn und zwängte mich hindurch, womit ich plötzlich in einem Flur im ersten Stock stand.
    Hier war die Luft wesentlich kühler. Die Regenvögel in der Decke besprühten den verlassenen Korridor mit unregelmäßigen Schauern. Ich gewöhnte mich langsam an die Dunkelheit, eine kalkige Düsternis anstelle des undurchdringlichen Schwarz im inneren Korridor. Der Teppich hatte sich vollgesogen und quatschte feucht unter meinen Füßen, als ich den finsteren Flur hinabstolperte. Da ich meinen Augen nicht zu trauen wagte, hielt ich die Arme steif ausgestreckt und wedelte mit den Händen vor mir her wie beim Blindekuhspielen. Der Feueralarm setzte sein monotones Gellen fort, zu dem sich eine zweite Sirene gesellt hatte, die heiser heulte. In einem U-Boot-Film wären wir mittlerweile auf Tauchstation. Ich betastete den nächsten Türrahmen. Wieder fühlte sich der Türknauf kühl an und ließ zumindest für den Moment vermuten, daß das Feuer nicht auf der anderen Seite tobte. Ich drehte den Knopf und stieß die Tür vor mir auf. Ich fand mich auf der Feuertreppe wieder, die ich inzwischen bis ins Detail kannte. Durch die Schwärze stieg ich hinab, doch die Vertrautheit des Treppenhauses beruhigte mich. Die Luft war kalt und roch sauber.
    Als ich im Erdgeschoß ankam, schalteten sich die Notstromaggregate ein, und kurz darauf gingen die Lichter flackernd wieder an. Der Korridor war verlassen, die Türen geschlossen. Hier gab es keinerlei Hinweise auf Bewegung, keine Spur von Rauch, und die Sprinkleranlage hatte sich ausgeschaltet. Jeder öffentlich zugängliche Raum, an dem ich vorüberkam, war leer. Ich entdeckte eine Tür mit der Aufschrift »Notausgang«, über der ein großer, beweglicher Balken lag, der mit Warnhinweisen beklebt war. Als ich durch die Tür ging, begann hinter mir noch eine Sirene zu jaulen. Ich ging rasch und ohne einen Blick zurückzuwerfen, bis ich den Parkplatz neben dem Hotel erreicht hatte, wo Rays Mietwagen geparkt war.
    Die Feuerwehrautos fuhren am Hoteleingang vor, wo die evakuierten Hotelgäste in Trauben herumstanden. Der Nachthimmel war glühend gelb gefärbt, das an den Stellen, wo Feuer und Löschwasser aufeinandertrafen, von Säulen weißen Rauchs erstickt wurde. Neben dem Gebäude kreuzten sich zwei Wasserstrahlen mitten in der Luft wie ein Paar Suchscheinwerfer. Teile des Hotels waren völlig von dem Feuer eingeschlossen, Glas zerbarst, Flammen stiegen auf, und eine Wolke schwarzen Rauchs quoll hervor. Der Teil der Einfahrt, den ich sehen konnte, wurde durch die Feuerwehrautos und — Schläuche blockiert, während Rettungsfahrzeuge bernsteinfarbenes Stroboskoplicht ausstrahlten. Über uns kreiste ein Hubschrauber, in dem ein Nachrichtenteam des Lokalfernsehens Aufnahmen machte und live vom Schauplatz berichtete.
    Ich fand Rays Autoschlüssel in meiner Jackentasche und stieg in seinen Mietwagen. Ich ließ den Motor an und drehte die Heizung auf. Meine Kleider waren völlig durchnäßt, und das Wasser lief mir aus dem wie angeklebt am Kopf haftenden Haar immer noch übers Gesicht. Ich wußte, daß ich nach Rauch, nasser Wolle, nassen Jeans und feuchten Socken roch. Die texanische Nacht war kalt, und ich merkte, wie ich von einem bis in die

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