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Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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für einen richtigen Chefkoch todlangweilig zuzubereiten.
    Ty serviert es Manny seit fast zehn Jahren, und auch diesmal schmeckt es so gut wie immer, der Knoblauch sticht aus der Butterigkeit hervor, am Schluss ein zarter Hauch Weißwein. Der Pilaw ist locker und leicht, nicht nass und schwer, wie er es schon in anderen Filialen erlebt hat. Es liegt nicht an Ty, dass sie schließen – aber das weiß Ty; er würde nie an sich zweifeln. Und es sind auch nicht ihre letzten Scampi: Im Olive Garden sind sie fester Bestandteil der Speisekarte.
    Ty sitzt weiter vorn am Tisch auf seinem eigenen Hocker, kaut auf einem Zahnstocher herum und blättert in einer alten Ausgabe des Old Car Trader.
    «Häuptling», sagt Manny, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, wedelt mit der Hand, um anzudeuten, dass es so la la schmeckt, und Ty zeigt ihm kurz den Mittelfinger.
    Im Radio kommt um sechs ein neuer DJ, der theatralisch erzählt, wie lange er für die Fahrt ins Studio gebraucht hat, und allen Leuten empfiehlt, die Straßen zu meiden, wenn sie nicht unbedingt rausmüssen, ein Rat, den Manny insgeheim ausschlägt. Ab sechs ist im Lobster immer am meisten los. Jetzt fragt sich Manny, ob ihre Zahlen nicht nur durch die Bauarbeiten auf der 9 beeinträchtigt wurden, sondern auch durch den ganzen Schnee im letzten Winter. Er beschließt, die Gäste nicht länger zu zählen (einundsechzig, erbärmlich für einen Samstag, dafür lohnt es sich eigentlich gar nicht zu öffnen).
    In der Ecke bei der Geschirrspülmaschine spielen Rich und Leron mit den vom Mittagessen übrig gebliebenen Brötchen eine Art Hufeisenwerfen und benutzen den Abfalleimer als Korb. Nachdem Manny aufgegessen hat, kommt Rich rüber, nimmt den Teller und lässt ihn auf der Küchentheke geschickt zu Leron gleiten, der ihn mit der Brause abspritzt und dann in den Geschirrkorb stellt, damit sie weiterspielen können.
    Roz und Jacquie haben es sich im Pausenraum gemütlich gemacht – Roz raucht und benutzt ihre Untertasse als Aschenbecher. Sie beklagt sich gerade, dass ihre mittlere Tochter Weihnachten ihren Freund mitbringt. Das ist die Tochter in Florida, die nach einem schweren Autounfall mit dem Trinken aufhörte und religiös wurde.
    Ihr Freund gehört derselben Kirche an und ist zwanzig Jahre älter. «Ich weiß nicht», sagt Roz, «er ist nett, aber die ganze Zeit. Das ist irgendwie gruselig.»
    «Hört sich seltsam an», sagt Manny.

    «Kann man nicht wissen», erwidert Jacquie. «Vielleicht braucht sie das jetzt.»
    «Na, ich jedenfalls brauche es nicht», sagt Roz. «Das ist schließlich auch mein Urlaub. Den muss Jesus mir nicht vermiesen. Was ist mit euch, fahrt ihr irgendwohin?»
    «Vielleicht fahr ich ein paar Tage nach New York. Hängt von meinem neuen Job ab.»
    Manny könnte von Bridgeport erzählen, verzichtet aber darauf und stellt sich vor, wie sich Jacquie (nicht Rodney, bloß Jacquie) die Schlittschuhläufer am Rockefeiler Center ansieht, unter der komischen goldenen Statue von diesem liegenden Typen und dem großen Baum mit dem General Electric‐Gebäude dahinter, wo Saturday Night Live gedreht wird. Seine Oma war mal mit ihm dort, als er noch klein war; er kann sich noch an die Fahnen und den gläsernen Aufzug erinnern, der unter die Erde führte. Er wäre gern Schlittschuh gelaufen, doch die Schlange war zu lang, und er wusste auch gar nicht, wie’s geht.
    «Hey», fragt ihn Roz, «machst du für nächsten Monat den Dienstplan der Mittagsschicht?»
    «Darüber hat niemand mit mir gesprochen, also sag ich nein.»
    «Und was wollt ihr euch alles angucken?», fragt Roz Jacquie.
    Manny wollte eigentlich bloß durchflitzen, und jetzt steht er da, während die beiden sitzen, und hat das Gefühl, als hätte er sich in ihr Gespräch eingemischt. Das Empfangspult ist nicht besetzt, und das benutzt er als Vorwand und schiebt sich durch die Schwingtür in den leeren Speiseraum, wo auf den Tischen die Kerzen flackern und Marvin Gaye zusammen mit Tammi Terrell «Ain’t nothing like the real thing, baby» singt. Die Lichter am Aquarium blinken, und das Lametta und der Bauch des Schwertfischs werfen die Farben zurück. Der Weg drau ßen ist immer noch frei, nur von einer feinen, durchsichtigen Schneeschicht bedeckt, und Manny ist froh zu wissen, dass sie bereit sind, falls jemand kommt, obwohl alles dagegen spricht.
    Es taucht niemand auf, und er hat genug Zeit, Eddie zu vermissen (er hat noch seine Powerball‐Scheine – oder vielmehr den einen Schein) und sich

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