Letzte Nacht
Stücken von Cafè Tacuba (aber auch die könnten ihn heute in die falsche Richtung, den falschen Wagen, das falsche Zimmer, das falsche Bett führen).
Dom ist verschwunden, mutterseelenallein steht nur noch Roz’ CRV da, bis zu den Radkappen im Schnee.
Das Benzin reicht, aber beim Fräsen auf der anderen Seite (wo vermutlich überhaupt niemand hinkommt) friert er plötzlich, ist hungrig, weil er mittags nichts gegessen hat, und empfindet einen stechenden Schmerz, der auf die Stirnhöhle drückt. Trotzdem will er gute Arbeit leisten und schummelt nicht, sondern schiebt die Maschine dicht am Bordstein entlang. Nochmal kommt er nur hier raus, wenn es unbedingt sein muss.
Beim Salzstreuen merkt er, dass sein rechter Arm zittert. Seine Finger sind taub und kribbelig, verkrampft vom Kampf mit der vibrierenden Maschine. Als er drinnen die Schneefräse wegräumt, rutscht ihm die Plane ständig aus der Hand, und auch nachdem er sich die Finger gerieben und sie hin und her bewegt hat, fühlen sich seine Hände schlaff an.
In der Küche ist es, abgesehen vom Radio, still. Ty, Rich und Leron stellen ihre Speisenwärmer neben die Warmhalteplatte, als wollten sie ihm zeigen, dass sie fertig sind.
«Gib mir das Übliche», sagt Manny.
Ty ist erstaunt, weil es schon so spät ist, aber er hat sich sofort wieder gefasst.
«Was für Gemüse gibt’ s?»
«Blumenkohl.»
«Das gab’s doch schon heute Mittag.»
«Okay – Albinobrokkoli.»
«Dann lieber kein Gemüse.»
Manny geht zur Bar, schenkt sich eine Diät‐Cola ein, gibt ein Stück Zitrone hinzu und muss das Glas mit beiden Händen hochheben. Das UConn‐Spiel ist vorbei, und bei dem neuen Spiel ist gleich Halbzeit. Auf dem anderen Bildschirm zeigt der Wetterkanal dasselbe Bild wie vor drei Stunden, und Manny streckt die Hand aus, um auf Channel 30 umzuschalten, der sich in ihrer Straße befindet, und dort sind die überregionalen Nachrichten zu sehen, mit Videoaufnahmen von Leuten, die in Einkaufszentren herumlaufen – der übliche Beitrag über Einzelhändler, die aufs Weihnachtsgeschäft zählen, als wäre die Wirtschaft allein auf die Feiertage angewiesen. Die anderen Lokalsender bringen nichts übers Wetter, also begnügt er sich mit ESPN, stellt den Ton leise und steht an seinem Glas nippend da. Die Mannschaften sagen ihm nichts, und schon beim ersten Werbespot interessiert er sich mehr für die Schnapsflaschen, die sich in drei Reihen den Spiegel entlangziehen, und macht sich Sorgen, dass seine Inventur eventuell nicht stimmen könnte. Selbst im Großhandel kostet eine Dreiviertelliterflasche Chivas eine Stange Geld, und obwohl ihm die Fehlmenge nicht vom Lohn abgezogen wird, muss er der Zentrale zeigen, dass er es versteht hauszuhalten, wenn er wieder eine eigene Filiale haben will. Nach den schlechten Bilanzen des Lobster kann er sich nicht viel Schwund leisten.
Er konzentriert sich auf das oberste Regal, wo der Scotch steht, die Farben als Blickfang gedacht wie schö nes Holz. Der Chivas ist noch fast voll, aber er kann sich nicht erinnern, dass der Crown Royal schon so leer war, und er könnte schwören, dass er den Dewar’s, in dem nur noch ein paar Fingerbreit sind, gerade erst ausgetauscht hat. Ja, heute früh, weil Dom zu spät kam. Bevor er der Sache nachgehen kann, ruft Roz aus dem Pausenraum, dass sein Abendessen fertig ist.
Auch als er einen Hocker ans andere Ende des Tisches zieht und weit hinten bei den Fritteusen anfängt zu essen (er muss sich Serviette und Besteck holen und legt aus Gewohnheit ein Gedeck für sich auf), wird er seinen Verdacht nicht ganz los. Natürlich befürchtet er nicht, dass Dom sich selbst das eine oder andere Gläschen einschenkt, sondern dass er ganze Flaschen stiehlt – offen, für seinen eigenen Bedarf, oder noch verschlossen, um sie weiterzuverkaufen. Vor ein paar Jahren hatten sie im Sommer mal Probleme mit einer Vertretung, die hinter dem Müllcontainer in leeren Kartons Wein versteckte.
Manny hat keinen Grund, Doms Verlässlichkeit anzuzweifeln, aber es passieren seltsame Dinge, wenn man weiß, dass es der letzte Tag ist – als wären plötzlich sämtliche Regeln aufgehoben.
Stirnrunzelnd betrachtet er Tys Scampi, serviert wie für einen Restaurantkritiker, die kopflosen Hälse der Shrimps in die Mitte des Tellers zeigend, die Körper spiralförmig angeordnet, die Schwänze am Rand nach links gebogen, mit Petersilienröschen garniert. Es ist das beliebteste Essen der ganzen Restaurantkette, schlicht und
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