Letzte Nacht
überlegt, ob er ihm Warrens Platz im Olive Garden überlassen soll, aber er würde es dort auf keinen Fall schaffen, weil er entweder zu spät oder bekifft zur Arbeit käme oder sogar beides (und Manny ist durchaus kein Heuchler: Es gibt einen richtigen und einen falschen Zeitpunkt fürs Kiffen). Eigentlich sieht er auch jetzt bekifft aus: rotgeränderte Augen, im Augenwinkel eine gewundene Kapillare. Hat sich wahrscheinlich zugekifft, als Manny im Einkaufszentrum war, wahrscheinlich nicht mal allein. Trotzdem verspürt Manny den Drang, ihn – und auch Rich – zu belohnen, aber womit?
Während er dasteht und überlegt, ist er noch weiter ins Hintertreffen geraten, und es ist schon nach fünf, dem offiziellen Beginn des Abendessens. Er beobachtet Leron und schüttelt den Kopf über sein Tempo.
«Zu schnell für mich», sagt er und zupft die Handschuhe von den Fingern. «Ich geh jetzt und schlag mich mit der Schneefräse rum.»
«In Ordnung», sagt Leron.
«Brauchst du Hilfe?», stichelt Ty vom Grill, denn er weiß, was für Kämpfe Manny mit dem Ding schon ausgefochten hat.
«Wenn, dann sag ich dir Bescheid.»
«Ich schick dann einen Suchtrupp los.»
«Schick besser die Spurensicherung, denn wenn das Ding nicht läuft, mach ich Kleinholz draus.» Das ist nicht bloß Spaß. Er stellt seine Aufgabe übertrieben schwer dar, damit ihre ihnen leichter vorkommt, aber er kann das verdammte Ding wirklich nicht ausstehen, genauso wenig wie seine eigene Hilflosigkeit. Es ist wie alles an diesem Tag.
Als er die Plane wegzieht, hofft er geradezu, dass kein Benzin mehr im Tank ist. Die Schneefräse ist schon alt, ein verblichenes Rot wie bei landwirtschaftlichen Maschinen, schmutzige Fahrradgriffe mit Handkupplung für Vorwärtsgang, Rückwärtsgang und Geschwindigkeit der Schaufeln, und dazu noch Gashebel und Choke. Die Spinnweben an den Verbindungskabeln sind voll winziger wattebauschartiger Eier. Er kann sich weder daran erinnern, wann er die Fräse zum letzten Mal benutzt hat – im März oder April, als er und Jacquie noch zusammen waren und die Tage an ihm vorbeirauschten –, noch, dass er sie wieder weggeräumt hat, doch das muss er gewesen sein. Nicht mal damals, in dieser sorglosen (und, wie er geglaubt hatte, endlosen) Verzückung, hätte er den Tank leer gelassen. Er schraubt den Metalldeckel ab und neigt den Kopf zur Seite, bis Licht in der ruhigen ingwergelben Flüssigkeit glitzert. Unmöglich zu erkennen, wie viel noch drin ist. Halb voll vielleicht. Jedenfalls genug.
Er zieht die Fräse hervor. Die verstaubten Reifen sind schlaff.
«Du kannst es schaffen!», sagt Ty in beherztem Rob Schneider‐Ton.
«I‐I‐I‐Ich versuch’s, Trainer», antwortet Manny und denkt, dass sie sich immerhin in seinem Beisein über ihn lustig machen.
Es gibt keinen Grund, die Jacke nicht zu tragen (er kontrolliert seine Krawatte, immer noch feucht), und doch zögert er, bevor er sie überstreift, und zieht dann idiotischerweise vorn den Reißverschluss zu. Roz bietet ihm mütterlich ihre Handschuhe an – zu klein; er will sie nicht ruinieren. Jacquie beobachtet, wie er sich mit dem Hintern durch die Schwingtür schiebt, und auch wenn es unsinnig ist, fragt er sich, halb hoffend, es möge stimmen, ob sie vielleicht eifersüchtig oder gekränkt sein könnte. Er wird sich nicht für das Telefongespräch oder für Deena entschuldigen. Abgesehen von einer steifen Gratulation haben er und Jacquie nicht über das Baby gesprochen, als ginge sie das nichts an, und vielleicht geht es sie auch nichts an, nicht mehr.
Der Weg draußen sieht aus wie ein Trog mit dreißig Zentimeter hohen Wänden, die einzigen Fußspuren seine eigenen – erstaunlich, viel spreizfüßiger, als er gedacht hätte, und sofort streckt er die Zehen gerade. Das Neonschild über dem Eingang taucht alles in ein Heizlampenrosa, auch den kaputten Aufkleber mit der Gebrauchsanleitung zwischen Choke und Gashebel. Nach all den Jahren müsste er eigentlich auswendig wissen, wie man das Ding startet, aber noch bevor er die Beschreibung der sechs Schritte zu Ende gelesen hat, verweigert sich sein Gehirn der Angelegenheit. Einfacher ist es, mit der Kurbel den Auswurf einzustellen, der den Schnee wegschleudert und gebogen ist wie ein Periskop.
Es ist zwecklos, die Sache rauszuzögern. Auch wenn er den Anweisungen nicht glaubt, wird niemand kommen, um ihn zu retten.
Geduldig und exakt befolgt er die einzelnen Schritte und betet, dass alles klappt.
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