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Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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eingeschaltet, wo die zweite Hälfte der Zehn‐Uhr‐Nachrichten läuft, während er die Küchenbretter abwischt und das kleine Spülbecken sauber macht.
    Die Toiletten sind sauber, und er nimmt sich mit der Kehrmaschine die schmutzigsten Stellen im Foyer und auf dem Flurteppich vor. Den Speiseraum kann er morgen früh saugen – da sieht man’s wieder: Er tut so, als sei dies ein Abend wie jeder andere. Es ist sinnlos, zu saugen oder auch nur zu fegen, denn hier wird sowieso alles auseinander genommen. Wahrscheinlich ist es genauso sinnlos, sich wegen seiner Bestandsliste Sorgen zu machen. Er wurde ja schon herabgestuft.
    Die Garderobe ist leer und das Empfangspult sauber, der Dienstplan für morgen unausgefüllt. Als Huldigung lässt er das Tagesgericht an der Tafel stehen. Er packt den nicht zusammenpassenden Weihnachtsschmuck in die Nester aus sprödem Seidenpapier, zieht den Stecker der Lichterkette raus und wickelt sie um den Ellbogen wie ein Roadie. Das Lametta wirft er weg.
    «Hey», sagt Jacquie, «und was sollen die Hummer jetzt machen?»
    «Die können sich gegenseitig angucken», sagt Manny, und ihm fährt ein Schreck in die Glieder, denn sie könnte glauben, dass er von ihnen beiden spricht.
    Es ist wirklich seltsam, fünf Tage vor Weihnachten den ganzen Schmuck abzunehmen. Trotz des Schnees und Deenas Geschenk in seiner Tasche hat er nicht das Gefühl, dass Weihnachten ist. Er muss an Bill Murray in Die Geister, die ich rief denken , daran, wie sich am Schluss für ihn alles zum Guten wendet, wie die gesamte Belegschaft des Fernsehsenders vor den Kameras singt und die Tussi aus Indiana Jones ihn küsst, und Manny muss sagen, dass ihm so etwas gefallen würde. Wenn eine der Powerball-Zahlen stimmt, denn nur so könnte das Wunder in letzter Sekunde geschehen. Aber vielleicht ist es ja schon geschehen. Vielleicht bestand es einfach darin, dass alle gekommen sind, dass alle immer noch da sind.
    Er blickt sich im Foyer nach weiterer Dekoration um, aber da ist nur der Schwertfisch. Was sollen sie damit bloß machen? Was würde er damit machen?
    Was aus den Hummern wird, ist klar. Sie gehen an irgendein anderes Lobster. Zum Wegwerfen sind sie zu teuer.
    Doch die Lichterkette wird nicht weitergereicht. Er weiß nicht, wann oder von wem sie mal gekauft wurde, aber Darden Restaurants, Incorporated, gehört sie genauso wenig wie er selbst, und statt sie wieder in den Lagerschrank zu stopfen, steckt er sie behutsam in eine Mitnehmtüte und stellt die Tüte hinten im Flur direkt unter seiner Jacke auf den Fußboden, als wollte er die anderen warnen, ihn als Dieb zu bezeichnen.
    Jacquie und Roz sind im Speiseraum fertig und gehen in die Küche, um sich die Kaffeetheke vorzunehmen. Als der Speiseraum abgeschlossen ist, lässt Manny den Computer die Tagesabrechnung machen, und während sie erstellt wird, leert er die Kassenschublade und druckt an der Kasse in der Bar die Belege der Serviererinnen aus. Er gleicht das Bargeld mit ihren Rechnungen ab, und auch wenn sie einen furchtbaren Tag hatten (an dem sich ein Diebstahl nicht lohnen würde), freut er sich, dass nur knapp zwei Dollar fehlen. Er zählt das Geld dreimal, füllt einen Einzahlungsbeleg aus und steckt alles in die Ledermappe, zieht den Reißverschluss zu und verstaut sie im Safe.
    Hinten steht die Geschirrspülmaschine still. Rich schiebt heiße Geschirrkörbe voller Wassergläser weg, und die Rollen hinterlassen nasse Spuren. Leron packt den Abfall in Säcke, während im großen Spülbecken dampfendes Wasser in einen Wischeimer prasselt. Zum Teil liegt es bestimmt am frühen Feierabend, aber Manny hat das Gefühl, dass sie schneller arbeiten als den ganzen Tag.
    «Okay», sagt er, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. «Ihr müsst jetzt langsam fertig werden, denn in vierzehn Minuten» –, er hält den Schein hoch –, «gewinnen wir alle beim Powerball. Der einzige Haken ist, dass wir mit Eddie teilen müssen.»

    «Viel Glück», sagt Roz.
    «Die Ziehung ist genau um 10:59 Uhr, in der Bar. Alle Drinks gehen auf mich.»
    «Ich glaub’s nicht», sagt Jacquie und betrachtet den Schein, als hätte Manny sich übers Ohr hauen lassen.
    «Warum gibst du nicht jedem von uns einen Dollar?»
    «Komm schon», sagt Manny, «man kann nie wissen.»
    «Ich weiß, dass du fünf Dollar einfach zum Fenster rausgeworfen hast», sagt sie, und jetzt wünscht er sich wirklich, dass sie gewinnen – nicht den Hauptpreis, aber irgendwas.
    Lerons Eimer ist fast voll,

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