Letzte Rache: Thriller (German Edition)
dreißig, aber mit seinem schlaffen strohblonden Haar und seinen jungenhaften Gesichtszügen brachte er es fertig, jünger als einige der Mädchen auszusehen. »Beim Appell haben sich alle gemeldet. Wir haben allen, die normalerweise nicht abgeholt werden, gesagt, dass sie nach Hause gehen können.«
Bevor Carlyle antworten konnte, begann das Telefon in seiner Hand zu vibrieren. Es war eine SMS von Alice: Zu Hause. Alles ok. x
Eine Mischung aus Erleichterung und Frustration ergriff ihn. Er schaute hoch, aber der Lehrer war schon weitergegangen. Ein paar Sekunden stand Carlyle da und kam sich überflüssig vor. Dann rief er seine Frau an und verließ den Square in Richtung Westen.
Die Klingel ertönte, kurz darauf gefolgt von einem leisen Rumpeln aufgeregten Geplappers. Michael Hagger lehnte sich an eine Säule draußen vor dem Eingang zum Kindergarten Coram’s Fields. Während er versuchte, wie die Art Typ auszusehen, der seinen Jungen regelmäßig aus der Kita abholte, sah er zu, wie die Kinder herauszuströmen begannen, wobei sie immer noch glücklich spielten, sich Süßkram in den Mund stopften oder über den Tag plauderten. Hauptsächlich waren es Frauen – richtige Mütter oder Tagesmütter –, die zum Abholen gekommen waren, aber es gab auch den einen oder anderen Vater, der sich die Mühe machte, eine Rolle bei der Heimholung des Nachwuchses zu übernehmen.
Sobald er sicher sein konnte, dass alle Zeichen auf Feierabend standen, drückte Hagger sich an einer Frau vorbei, die sich mit einem Kinderwagen abmühte, und betrat das Gebäude. Er lächelte den jungen Frauen am Empfang zu und ging lässig durch den Flur in Richtung von Jakes Spielzimmer.
Der Junge saß in Jeans, Turnschuhen und einem T-Shirt an einem Tisch und zeichnete mit einem grünen Farbstift auf einem Stück Papier. Er konzentrierte sich so stark, dass seine Zungenspitze in einem Mundwinkel sichtbar wurde. Zum ersten Mal gewann Hagger den Eindruck, dass der Junge gut aussah. Das muss er von mir haben, dachte er. Eine Kindergartenhelferin stand an einem Waschbecken in der gegenü berliegenden Ecke des Raums und räumte eine Ansammlung von Farben und Pinseln weg. Sie hatte ihnen den Rücken zugekehrt und drehte sich nicht um, als er den Raum betrat.
Jake sah ihn und verzog das Gesicht. »Was machst du denn hier?«
Hagger rang sich ein schmales Lächeln ab. »Ich bin hier, um dich abzuholen.«
Jake machte einen verwirrten Eindruck. »Du holst mich nie ab.«
»Nun, heute tu ich’s doch«, erwiderte Hagger.
»Wo ist Mum?«
Hagger streckte die Hand aus und tätschelte ihm den Kopf.
»Ich hole dich heute ab«, wiederholte er. »Ich dachte, das wäre nett.«
Die Kindergartenhelferin war immer noch damit beschäftigt, diverse Farbtuben wieder zuzudrehen.
»Mum holt mich immer ab«, sagte der Junge störrisch. »Oder Amelia.«
Ein echtes Paar nutzloser, fauler Schlampen, befand Hagger. »Sie haben gesagt, dass ich dich heute abholen sollte.«
»Mum sagt, du bist ein kompletter Scheißkerl«, sagte Jake beiläufig, während er den Blick senkte und den Farbstift fester auf das Papier drückte. »Und eine totale Fotze«, fügte er hinzu und wechselte seinen grünen gegen einen roten Farbstift aus.
»Das sagt sie also?« Hagger reagierte gereizt.
»Was ist eine Fotze überhaupt?«
»Nichts.«
Der Junge schaute hoch. »Das ist ein böses Wort, stimmt’s?«
»Sie macht nur Witze.« Hagger grinste nervös. Er warf einen Blick in den hinteren Teil des Raums, aber die Kindergartenhelferin hatte es eindeutig nicht gehört. Sie ließ jetzt Wasser laufen und war dabei, ein paar Töpfe auszuwaschen.
»Amelia auch.«
»In Wirklichkeit mögen sie mich. Genau wie du, oder?«
Jake schaute immer noch nicht hoch. »Ich will auf Mum warten.«
Hagger hatte diese Reaktion von dem Jungen erwartet. Er wusste, dasser schnell sein musste. Er konnte sich keine Szene leisten. Er ließ eine kleine Tüte Jelly Babies auf den Tisch fallen und flüsterte: »Ich dachte, wir könnten ein Eis essen gehen.«
Der Junge schnappte sich die Süßigkeiten und stand auf. »Okay«, sagte er und riss die Tüte auf. Er schaute hoch zu seinem Vater. »Und dann fahren wir zu Mum?«
»Natürlich.«
Dominic Silver, der glücklich darüber war, endlich allein zu sein, entspannte sich auf einer Couch in seinem Haus an der Meard Street in Soho. Gideon Spanner, der seine Augen und Ohren auf der Straße verkörperte, drehte draußen seine Runden, und deshalb hatte Silver das
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