Letzte Rache: Thriller (German Edition)
»Heiratsanträge«, sagte sie und starrte in ihren Schoß. »Bis jetzt sind es sechs.«
»Und was steht drin?« Sein Interesse hielt sich bei dem Gedanken an einen harmlosen Irren, der in Snowdon verknallt war, ziemlich in Grenzen.
»Drin steht nur, dass er findet, wir sollten heiraten, und dass er sich um mich kümmern möchte.«
Wenn es je eine Frau gegeben hat, die sich um sich selbst kümmern kann …, dachte Carlyle. Ausnahmsweise schaffte er es, den Mund geschlossen und diesen Gedanken für sich zu behalten.
»Mein Freund hält es für einen Scherz«, fuhr sie fort, »aber es ist ja auch nicht sein Problem. Abgesehen davon ist er selten in der Nähe.« Sie griff über den Tisch und berührte Carlyles Handrücken. »Das macht mir wirklich zu schaffen.«
Carlyle suchte instinktiv Abstand und lehnte sich zurück. Er ignorierte sein Unbehagen und konzentrierte sich darauf, sein Mitgefühl zu beweisen. »Das kann ich verstehen.«
»Josh hat den Typ eines Morgens zur Rede gestellt, aber er ist einfach irgendwie davongezockelt. Ein paar Tage lang ist er verschwunden gewesen, aber dann ist er wieder aufgetaucht.«
Der Freund war Josh Harris, ein Rugbyspieler der englischen Mannschaft. Einer von diesen Männern, die so breit wie groß sind. Er war ein Stürmer in der zweiten Reihe oder ein linker Pfeiler oder etwas in der Art. Carlyle hatte keine Ahnung von Rugby, weil es für seinen Geschmack zu bürgerlich war – nur eine weitere dieser traurigen Sportarten, die nicht Fußball und nur für eine Minderheit von Interesse waren. Er hatte die beiden allerdings schon ein- oder zweimal auf den Partyseiten in einer der Gratiszeitungen gesehen. Helen hatte ihn mit seiner »Prominentenfreundin« aufgezogen. Aus irgendeinem Grund war ihm das peinlich.
»Haben Sie mit der Polizei gesprochen?«, fragte er.
»Sie sind die Polizei«, sagte sie und zog einen Schmollmund.
»Ich meine offiziell.«
»Ja. Ich hatte ein offizielles Treffen mit einer Polizistin, Sergeant Singleton, in der Polizeistation Fulham.«
»Fulham?«, wiederholte Carlyle.
»Da wohne ich.«
»Okay.«
»Ich habe ihr Fotokopien der Briefe gegeben.«
»Haben Sie die mitgebracht?«, fragte Carlyle.
»Natürlich.« Snowdon steckte eine Hand in ihre große hellbraune Schultertasche und holte ein kleines Bündel Briefumschläge heraus, die von einem roten Gummiband zusammengehalten wurden. Sie zog das Gummiband ab und gab Carlyle die Briefe.
»Danke.« Betont auffällig studierte er die Briefumschläge. Zwei Stempel waren zu sehr verschmiert, aber der ganze Rest war eindeutig über das gleiche Briefzentrum im Bezirk SW 7 geschickt worden, was vielleicht ein Zeichen dafür war, dass der Mann dort seinen Wohnsitz hatte. Vorsichtig nahm er jeden Brief aus seinem Umschlag und legte alles auf den Tisch. Sie waren alle mit blauem Kugelschreiber auf dem gleichen billigen, dünnen weißen Papier geschrieben. Die Handschrift war ordentlich, aber schwerfällig wie die eines Zehnjährigen, was die Gefühle umso unangemessener erscheinen ließ. Nach einem, wie er hoffte, akzeptablen Zeitraum des Nachdenkens schob er sie alle in ihre Umschläge zurück und händigte sie Snowdon wieder aus.
»Was hat Sergeant …« Der Name wollte ihm nicht mehr einfallen.
»… Singleton.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, sie würde in Aktion treten, wenn ich Anzeige erstatte.«
»Und?«, fragte Carlyle. »Haben Sie eine erstattet?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Aus zwei Gründen.« Sie setzte sich aufrecht hin und schnippte sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn. »Als Erstes hab ich gedacht, es würde nicht viel ändern.«
Das war eine realistische Annahme. Informationen, die Journalisten unter Berufung auf das Gesetz zur Wahrung des Rechts auf Auskunft von Scotland Yard losgeeist hatten, liefen darauf hinaus, dass die Hälfte der gemeldeten Verbrechen »ausgesondert« – das heißt ignoriert – wurden, weil ihre Aufklärung unwahrscheinlich sei. Sogar jemand wie Rosanna Snowdon hatte vermutlich nicht viel Freude am Justizsystem, wenn es um ein derart einfaches Problem wie dies hier ging.
»Und zweitens«, fuhr sie fort, »will ich die Publicity vermeiden.«
Carlyle starrte sie an und zog die Augenbrauen hoch.
Sie verzog das Gesicht. »Ehrlich. Es wäre nicht gut für mein Image, wenn diese Angelegenheit herauskäme.«
»Und warum?«
Sie schaute ihn an, als ob sie ihn nicht gerne mit der Nase darauf stoßen wolle.
Er wartete.
»Es würde mich
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