Letzter Akt in Palmyra
Stadt. Damaskus war außerordentlich berühmt und wohlhabend. Seine Bürger zeichneten sich durch ein erstaunliches Maß an Verderbtheit aus. Als Römer fühlte ich mich gleich zu Hause.
Diese Stadt war die letzte auf unserer Tour durch die Dekapolis und mußte das Juwel der Sammlung sein. Wie Kanatha lag sie weit ab von den übrigen Städten; die Isolation war hier eher eine Frage weiter Entfernungen als einer bestimmten Atmosphäre. Damaskus war keine zusammengekauerte Bastion, umgeben von ausgedehnter Wildnis – obwohl sich die Wüste in verschiedene Richtungen erstreckte. Damaskus pulsierte einfach vor Macht, Kommerz und Selbstsicherheit.
Hier gab es all das, was eine Stadt der Dekapolis auszeichnet. Erbaut in einer blühenden Oase, wo der Abana aus einer Schlucht der langen Gebirgskette hervorschoß, waren die dicken Stadtmauern und ihre Schutztürme wiederum von einem breiten Gürtel üppiger Wiesen umgeben. Auf dem Gelände einer alten Zitadelle in der Stadt stand jetzt ein bescheidenes römisches Lager. Ein Aquädukt führte Wasser für die öffentlichen Thermen und privaten Haushalte heran. Als Endstation der alten, eifersüchtig bewachten nabatäischen Handelsroute vom Roten Meer und gleichzeitig wichtiger Verkehrsknotenpunkt, besaß die Stadt zahlreiche Märkte und Karawansereien. Als griechische Stadt verfügte sie über eine gute Stadtplanung und demokratische Institutionen. Als römische Eroberung kam sie in den Genuß eines ausgedehnten Neu- und Umbauprogramms, das in dem grandiosen Plan gipfelte, den örtlichen Kultbezirk in ein riesiges Jupiterheiligtum umzuwandeln, das von übergroßen Kolonnaden, Triumphbögen und monumentalen Toren umgeben sein würde.
Wir betraten die Stadt von Osten her durch das Sonnentor. Das Getöse war überwältigend. Nach der Stille der Wüste waren das habgierige Geschrei der Straßenhändler und der Lärm des Feilschens und Schacherns ein Schock. Von allen Städten, die wir besucht hatten, ähnelte diese am meisten dem Schauplatz eines flotten griechischen Stücks, wo Babies vertauscht und Schätze gestohlen wurden, entflohene Sklaven hinter jeder Säule lauerten und Prostituierte selten das Pensionsalter erreichten. Hier würden zweifellos anspruchsvolle Frauen ihre schwächlichen Ehegatten auszanken, weil sie’s im Bett nicht mehr brachten, und ungeratene Söhne ihre tattrigen Väter übers Ohr hauen. Pflichtbewußte Töchter waren sicher eine Seltenheit. Jede, die sich als Priesterin ausgab, hatte höchstwahrscheinlich zuvor damit Karriere gemacht, in muffigen Hafenbordellen Jungfrauen zur Deflorierung durch dienstfreie Soldaten vorzubereiten, und jeder Vettel, die offen zugab, Puffmutter zu sein, ging man am besten schnellstens aus dem Weg, bevor sie sich als die eigene, seit Jahren vermißte Großmutter entpuppen konnte.
Vom Sonnentor bis zum Jupitertor am anderen Ende der Stadt erstreckte sich die Via Recta, die irgendein Landvermesser mit Sinn für Humor einst die »Gerade Straße« genannt hatte. Eine peinliche Angelegenheit. Nicht gerade der Ort, sich für eine Woche ein ruhiges Zimmer zu mieten und seine Seele zu erforschen. Es hätte die stattliche Mittelachse der Stadt sein sollen. War aber alles andere als imposant. Nach römischen Begriffen war es eine Decumanus Maximus, allerdings eine, die dauernd lächerliche Haken um kleine Hügelchen und lästige alte Gebäude machte. Eigentlich war sie als Grundlinie eines klassischen griechischen Straßenschemas gedacht. Aber Hippodamos von Milet, der Erfinder des genialen Stadtplanungssystems, hätte beim Anblick dieser Schlangenlinie angewidert sein Abendessen von sich gegeben.
Außerdem herrschte Chaos und das Straßenbild wurde durch einen Wald von Säulen bestimmt, an denen Stoffplanen befestigt waren. In der feuchten Hitze, die sich beim Höhersteigen der Sonne bald unter dieser schweren Abdeckung staute, arbeiteten reguläre Händler hinter ihren solide gebauten Ständen. Dazwischen drängten sich unzählige illegale Stände, die in unkontrollierten Reihen fast die ganze Breite der Straße einnahmen. Einen römischen Ädil hätte der Schlag getroffen. Dieses ehrfurchtslose Durcheinander war unmöglich zu kontrollieren. Der Verkehr kam kurz nach Sonnenaufgang zum Erliegen. Die Leute blieben für lange Gespräche mitten auf der Straße stehen und waren nicht wegzubewegen.
Wir schlossen die Hand um unsere Geldbörsen, blieben dicht beieinander und versuchten, uns einen Weg durch dieses Gewimmel zu bahnen.
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