Leuchtende Sonne weites Land - Roman
Mike Vera zu. Seine Hände zitterten.
»Du aber auch«, erwiderte sie leise. Sie war so aufgeregt. Dass Mike sich ihretwegen solche Mühe gegeben und einen Anzug angezogen hatte, obwohl er sich sichtlich unwohl darin fühlte, rechnete sie ihm hoch an.
»Liebe Freunde, liebe Nachbarn. Wir haben uns heute hier versammelt …«, begann der Reverend.
In diesem Moment war in der Auffahrt wieder Hufgetrappel zu hören. Tess drehte sich um, aber es war nicht Tim, wie sie gehofft hatte, sondern erneut zwei Viehzüchter. Enttäuscht wandte sie sich wieder um und kramte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Sie wusste, sie würde während der Trauzeremonie weinen müssen.
Sie und Vera hatten sich auf der Überfahrt fast jeden Abend ihre Hochzeit ausgemalt, hatten überlegt, ob sie morgens kirchlich oder ganz leger am Nachmittag oder abends in einem Garten oder vielleicht sogar unter dem Sternenhimmel heiraten würden. Aber jedes Mal hatten sie sich vorgestellt, dass sie es Seite an Seite taten. Nie war ihnen der Gedanke gekommen, nur eine von ihnen könnte vor dem Altar stehen. Vera hatte sich schon einige Male entschuldigt, aber sie konnte ja nichts dafür, und Tess hatte nach Kräften versucht, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
Unmittelbar vor dem Ringtausch bat Mike den Reverend, ein paar Worte sagen zu dürfen. Er war es nicht gewohnt, über seineGefühle zu sprechen, aber er wusste, dass sich das ändern musste. Diese Eheschließung war für ihn die erste und sollte auch die letzte sein. Und eines hatte er sich geschworen: Er würde Vera niemals für selbstverständlich nehmen.
Reverend Meeke nickte. »Aber natürlich. Nur zu.«
Mike blickte in Veras glänzende blaue Augen und versuchte, seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Nach ein paar Sekunden räusperte er sich und begann leise:
»Ich hatte die Hoffnung, eine Frau zu finden, mit der ich mein Leben teilen kann, fast schon aufgegeben. Da hatte Ben die Idee mit der Anzeigenkampagne. Anfangs war ich skeptisch, aber dann sagte ich mir: Was soll’s? Du hast doch nichts zu verlieren. Ich hätte nie gedacht, dass das funktionieren würde, aber dann hast du, Vera, auf meine Anzeige geantwortet. Als wir uns schrieben, habe ich mir ein Bild von dir gemacht. Und du hast dir wahrscheinlich auch eines von mir gemacht.« Ben hatte geraten, keine Fotos auszutauschen, damit man sich nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen ließ.
Vera nickte lächelnd.
»Ich weiß nicht, ob ich deinen Vorstellungen entspreche, aber ich weiß, dass du tausendmal besser bist als die Frau, von der ich jede Nacht geträumt habe. Ich habe mir offen gestanden keine allzu großen Hoffnungen gemacht, dass wir Zuneigung füreinander empfinden würden, aber dann habe ich mich im ersten Moment schon in dich verliebt, und zwar heftig …« Er lachte verlegen, und Vera stimmte mit ein, weil sie genauso empfand. Sie würden ohne jeden Zweifel eine leidenschaftliche Hochzeitsnacht verbringen.
»He, Rawnsley, benimm dich«, rief Ian Benson dazwischen, und die Männer lachten schallend.
Mike bekam rote Ohren, sah Vera aber unverwandt an. »Ich glaube, ich darf sagen, dass wir ein bisschen älter und klüger als zwei schwärmerische Teenager sind.« Vera nickte zustimmend. Aus dem Hintergrund rief ihm jemand zu, er sei ein alter Knacker, undwieder lachten alle. Mike achtete nicht darauf. »Ich glaube, unsere Ehe hat wirklich alle Chancen. Ich fühle mich auserwählt, weil ich mich jetzt auf meine Zukunft freuen kann, und ich habe einen Grund, morgens aufzustehen und den ganzen Tag hart zu arbeiten. Du wartest auf mich, wenn ich abends nach Hause komme.«
Vera standen Tränen in den Augen. Sie drückte Mikes Hände und sah ihn zärtlich an. »Es war ein großes Wagnis, hierherzukommen, um einen wildfremden Mann zu heiraten«, erklärte sie bewegt. »Daheim in den Staaten erklärte uns jeder für verrückt. Aber etwas sagte mir, dass ich das Richtige tue – vielleicht war es weibliche Intuition, vielleicht war es Wahnsinn, ich weiß es nicht. Ich habe mir einen schüchternen, einsamen Farmer vorgestellt. Er sah nicht so gut aus wie du, und er brachte mein Blut nicht in Wallung wie du, und trotzdem bin ich gekommen. Und jetzt … Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, meinen Platz gefunden zu haben. Ich freue mich auf eine gemeinsame Zukunft mit dir, und ich fühle mich geehrt, dass du mich zur Frau nimmst.« Vera lächelte, aber in ihren Augen schimmerten Tränen.
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