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Leuchtendes Land

Titel: Leuchtendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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verführten, war keine Frau gefeit.
    Thoras Feder flog über das Papier. Hektisch verfasste sie eine wilde Schmährede. Dabei verwechselte sie manchmal Clem mit Matt Spencer. Zugleich schwärmte sie von ihren Begegnungen mit wahren Gentlemen wie Lord Kengally. Doch allmählich drang die Wahrheit an die Oberfläche. Flüchtige Erinnerungen, grauenhafte Bilder, die wie Schatten zwischen den Worten lauerten, formten sich zu der Geschichte eines jungen Mädchens, das vergewaltigt worden war. Einer Geschichte von Entsetzen und Abscheu, Schmerz und nicht enden wollender Scham.
    Nanny schaute zur Tür herein. »Ich habe mit Lydia die Mädchen im Hotel besucht. Sie freuen sich immer, wenn sie die Kleine sehen. Haben mir eine leckere Kartoffelpastete mitgegeben. Möchten Sie etwas davon, Madam? Sie ist noch heiß. Ich habe auch einen Becher Soße.«
    Mrs. Price antwortete nicht. Sie schlug gerade eine Schlacht mit Tinte und Feder und konnte sich nicht um solche Kleinigkeiten kümmern.
    Sie hatte völlig vergessen, dass sie an Alice schrieb. Von Schuldgefühlen und dem Wunsch, ein Geständnis abzulegen, getrieben, arbeitete sie sich schließlich bis in die Gegenwart vor, bis zu einem Mann, der sich als ihr Ehemann bezeichnete – einer abstoßenden Kreatur, die Huren beschäftigte und
solche Dinge
mit Huren wie Jocelyn Russell trieb.
    Erschöpft legte Thora schließlich die Feder nieder. Sie warf noch einmal einen Blick auf die erste der zehn Seiten und bedauerte Alice, die nicht wusste, dass die Welt schlecht war.
    Alice musste Jocelyn Russell ebenfalls kennen, denn sie waren im selben Distrikt aufgewachsen. Diese ordinäre Kellnerin, deren Vater Straßengräben ausgehoben und deren Mutter anderer Leute Wäsche gewaschen hatte! Alice musste erfahren, was ihr Bruder trieb und mit welchen Frauen er ins Bett ging, während er nach außen hin den treuen Ehemann spielte.
    Die Dämmerung brach herein. Thora ließ ihren Brief auf dem Esstisch liegen und ging zum Gartentor, da sie Clem jetzt jeden Moment erwartete. Doch auf der Straße war es vollkommen ruhig. Wo steckte er nur? Wie konnte er es wagen, seine Frau zu vernachlässigen? Glaubte er etwa, er könne sich mit einer billigen Schachtel Pralinen ihren Respekt erkaufen? Bei Jocelyn mochte er damit durchkommen, aber nicht bei einer anständigen Frau wie Thora.
    Wie ein unwillkommener Gast schlich sich Jocelyn in Thoras Gedanken, kicherte verstohlen, lachte hinter ihrem Rücken leise über sie, schnitt ihr im Schlafzimmerspiegel hässliche Gesichter. Thora trat ihr entgegen.
    »Du brauchst nicht zu glauben, dass ich hierbleibe und das ertrage. Ich werde ihn bei dir zur Rede stellen. Er wird mir zuhören, wart’s nur ab. Ich lasse dich ins Gefängnis werfen. Da gehört eine Frau wie du hin!«
    Sie rief Nanny. »Könntest du bitte kommen? Ich möchte, dass du mir beim Frisieren hilfst.«
    Nanny bürstete Thoras langes Haar, bis es glänzte, legte es mit einer Lockenzange in sanfte Wellen, steckte es am Hinterkopf hoch und drehte die langen Strähnen zu weich herabfließenden Locken.
    »Oh, Madam, es sieht wunderbar aus. Ich werde immer besser. Gehen Sie aus?«
    »Ja. Und nun bitte den weiten Unterrock mit der Spitze und das blaue Seidenkleid.«
    Thoras elegante Erscheinung vertrieb Jocelyn aus dem Spiegel. Thora lächelte abschätzig. »Du kannst es nicht mit mir aufnehmen«, murmelte sie.
    »Wie bitte?«, fragte Nanny.
    »Nichts. Hol meinen Mantel. Nein, nicht den für tagsüber, den dunkelblauen Samtmantel, er ist so schön weit.«
    Thora wirbelte in ihren schwingenden Röcken durchs Wohnzimmer. »Wie sehe ich aus?«
    »Wunderbar! Wann kommt Mr. Price?«
    »Er kommt nicht. Ich gehe allein aus.«
    »Aber es ist schon dunkel. Abends sind die Straßen für Frauen viel zu unsicher. Soll ich Ihnen eine Pferdedroschke holen?«
    »Nein. Die Droschken fahren nie durch diese Straße. Außerdem brauche ich keine. Ich gehe zu Fuß.«
    »Wohin?«
    »Natürlich zum
United Services Hotel
. Dort wohnt er ja.«
    Nanny versuchte, sie von diesem Vorhaben abzubringen, doch Thora ließ nicht mit sich reden. Sie rauschte so zielsicher hinaus, dass sie sich drohender Gefahren gar nicht bewusst wurde. Inzwischen kannte sie sich in der Stadt ganz gut aus. Mit entschlossenen Schritten machte sie sich auf den Weg ins Hotel.
     
    In dem schäbigen Foyer roch es nach gekochtem Kohl und Tabak. Verglichen mit dem
Palace,
war das hier eine drittklassige Absteige. Thora konnte es nicht fassen, dass Clem ihr

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