Leuchtendes Land
Abschiedsparty hatte sich eine Menschenmenge vor Henerys Haus versammelt gehabt, und alle schienen der Meinung gewesen zu sein, dass es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft gehandelt habe. Dass Thora gekommen war, um ihren Ehemann zu erschießen.
»Aber du sagtest doch …« Sie wandte sich an Robert.
»Ja. Wir dachten, sie hätte auf Mr. Price gezielt, doch nachdem du zu Bett gegangen warst, habe ich noch einmal mit Henery über den Vorfall gesprochen.«
»Und wir sind zu einem definitiven Schluss gekommen«, fügte dieser hinzu. »Sie irren sich, Inspektor. Alle Zeugen sagen aus, dass sie den Namen einer Frau gerufen und auf Mrs. Cornish gezielt hat, als diese weglaufen wollte. Hätte Mr. Price nicht eingegriffen, wäre sie vermutlich das Opfer gewesen.«
Lillian wagte nichts zu sagen. Sie dachte fieberhaft nach. Bevor sie heiraten konnte, musste die Scheidung ausgesprochen werden. Es war jetzt nicht an der Zeit, die Existenz eines zweiten Kindes bekanntzugeben. Andererseits würde es ihr viel Sympathie einbringen, wenn sie offen gestand, dass Thora ihr, Lillians, Kind betreute. Sie konnte behaupten, dass sie zu dem Zeitpunkt, als Thora das Baby zu sich nahm, selbst zu keiner Entscheidung fähig gewesen sei, da alle auf sie eingeredet hätten, sie solle ihre christliche Pflicht tun und sich von einem ihrer Kinder trennen. Sie konnte sogar aussagen, dass dies ein mögliches Motiv für Thoras Anschlag auf sie war – der Hass auf die leibliche Mutter ihres Adoptivkindes.
Während die Männer diskutierten, knüllte sie ihr Taschentuch im Schoss und konstruierte in Gedanken eine Geschichte, in der Thora nicht die Rolle der unglücklich Verheirateten, sondern der Grausamen, Berechnenden spielte.
Anscheinend war der Inspektor wenig begeistert von Henerys Einmischung.
»Darf ich davon ausgehen, dass Ihnen Mr. und Mrs. Price bekannt sind?«, fragte er Lillian.
»Es sind keineswegs enge Freunde von uns«, warf Robert hastig ein. Lillian war auf Draht. Sie beschloss, ihre Geschichte einstweilen für sich zu behalten.
»Ich kenne sie«, antwortete sie mit Bedauern in der Stimme. »Es sind flüchtige Bekannte aus meiner Zeit in York. Gesellschaftlich haben wir nicht miteinander verkehrt. Thora Price ist die Tochter des Arztes und genoss keinen guten Ruf.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Smythe weiter.
Lillian starrte auf das Teppichmuster, als wolle sie einer Antwort ausweichen.
»Man spricht nicht gern über solche Dinge. Sie verursachte einen Skandal, als sie schwanger wurde. Clem Price kam ihr zu Hilfe und rettete sie.«
»Was meinst du mit retten?«, wollte Robert wissen.
»Nun, sie war in Schwierigkeiten. Er heiratete sie in einer Kirche außerhalb der Stadt, quasi im Geheimen. Es war eine bescheidene Zeremonie. Ich kam an diesem Tag zufällig an der Kirche vorbei. Aus Mr. Prices Verhalten können Sie ersehen, dass er ein ehrenwerter Mann ist. Außerdem hat er mir offensichtlich das Leben gerettet.«
»Warum aber sollte Mrs. Price Sie erschießen wollen?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Sie konnte nicht wissen, dass ich auf dem Fest war, und hätte sich auch nicht an mich erinnert. Sie ist einfach verrückt.«
»Na bitte«, sagte Robert, »jetzt kennen Sie die Geschichte, Inspektor. Mrs. Cornish tanzte mit Mr. Price, weil sie ihn von früher kannte. Ansonsten hat sie mit der Sache nichts zu tun.«
Der Inspektor kratzte sich am Ohr. »Mag sein. Aber diese Tatsache verkompliziert den Fall.«
»Durchaus nicht«, meinte Henery, »die Frau marschierte in den Saal und schoss auf Mrs. Cornish, da sie sie mit jemandem verwechselt hatte. Mit einer Frau namens Jocelyn. Soviel wir wissen, hatte auch das nichts mit dem Ehemann zu tun.«
»Das befürchte ich auch«, bemerkte der Inspektor unglücklich.
»Sie werden die Wahrheit schon herausfinden. Wenn das alles wäre … ich bin ziemlich erschöpft und muss mich ausruhen. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Laufbahn mit einem derartigen Skandal enden würde.«
»Immerhin wird niemand so schnell Ihren Abschied vergessen.«
Robert missfiel diese Bemerkung. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass dies ein Trost für Mr. Whipple ist. Wir alle möchten diesen Abend am liebsten vergessen.«
»Ich verstehe, Mr. Warburton. Die Bemerkung war unpassend. Ich möchte Sie nicht länger stören.« Smythe zog sein Notizbuch heraus. »Mrs. Cornish, ich nehme an, Sie sind nur zu Besuch in unserer schönen Stadt. Würden Sie mir bitte Ihre Anschrift
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