Leuchtendes Land
die Menge nach draußen. Sie kämpfte mit den Tränen.
Sie konnte unmöglich zu ihrer Familie zurückkehren, denn sie wollte sich um keinen Preis eingestehen, dass Ted sie verlassen hatte. Wochenlang antwortete sie vergeblich auf Stellenangebote. Schließlich fand sie eine Stelle mit Logis. Eine schäbige kleine Arbeitsvermittlung auf einem Hinterhof hatte sie ihr angeboten.
»Hier sind zwei Pfund für die Reise flussaufwärts«, sagte man ihr. »Auf dem Zettel stehen Name und Adresse. Das Kind können Sie mitnehmen, Mr. Warburton stört es nicht. Hat ein paar schwarze Frauen da, die Ihnen helfen können. Sind ohnehin nur gut fürs Kinderhüten.«
»Und ich arbeite als Milchmagd?«
»Ja. Sie können doch Kühe melken, oder nicht?«, fragte der Angestellte gelangweilt.
»Sicher.«
»Gut. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
»Wie ist dieser Mr. Warburton denn so?«
»Wen interessiert das schon? Er hat dort oben eine große Farm und ein verdammt prächtiges Haus, von dem Sie allerdings nicht viel zu sehen bekommen werden.«
»Haben Sie keine bessere Stelle? Ich hatte auf eine Arbeit in der Stadt gehofft.«
»Mit einem Kind? Vergessen Sie es. Wollen Sie nun die Stelle oder nicht?«
»Ja, vielen Dank.«
Auf dem Heimweg ging Lil in die Kirche, um für ihre Undankbarkeit Abbitte zu leisten.
Draußen hatte sie ein Schild mit den Worten »Gott liebt die Großzügigen« gesehen.
»Nun«, wandte sie sich an den Herrn, »ich versuche ja, eine gute Christin zu sein, aber du machst es mir ganz schön schwer. Mir ist nur Caroline geblieben … Ich habe weder Ehemann noch Heim. Selbst die schöne Seereise bleibt mir verwehrt. Aber Caroline wird mir keiner nehmen. Nun ist es an der Zeit, dass auch du dich großzügig zeigst.«
Lil fand einige lose Blätter mit Gebetstexten und las diese ehrfürchtig durch. Da sie ihr gefielen, steckte sie sie in ihre Handtasche. »Blicke freundlich auf uns herab, Herr! Hilf mir, mich in meinem neuen Leben zurechtzufinden! Ich bin sehr niedergeschlagen.«
Trotz ihrer Enttäuschung genoss Lil die Fahrt flussaufwärts in vollen Zügen. Der einmastige Segelkutter glitt leicht und elegant um die weiten Biegungen. Die sieben Passagiere, die zuvor bei achtunddreißig Grad im Schatten am Pier gewartet hatten, freuten sich über die frische Brise.
Lil erfuhr, dass Minchfield House, ihre neue Arbeitsstätte, erst die vorletzte Anlegestelle war, so dass sie in aller Ruhe die Landschaft betrachten und zusehen konnte, wie die anderen Passagiere nacheinander mit ihrem Gepäck an Land gingen. Am Swan River lagen weit verstreut einige herrliche Anwesen, doch keines konnte es mit dem Herrenhaus aufnehmen, das nun vor ihren Augen auftauchte. Das zweistöckige Gebäude aus roten Ziegeln wurde von einer breiten Veranda mit schlanken weißen Säulen gesäumt und lag inmitten eines wunderbaren Parks. Voller Ehrfurcht schaute Lil zu dem gepflegten Rasen und den Gartenanlagen hinüber.
»Sind wir hier richtig?«
»Ja, Missus, hier steigen Sie aus«, erwiderte ein Bootsmann.
»Ich dachte, es sei eine Farm.«
»Ist es auch. Mr. Warburton gehört die halbe Gegend. Kommen Sie, ich nehme die Kleine.«
Auch an dieser Anlegestelle warteten Leute. Lil spürte, dass sie beim Aussteigen alle Blicke auf sich zog.
Ein stämmiger Mann trat auf sie zu. »Sind Sie Mrs. Cornish? Ich bin Jordan, der Vorarbeiter. Sie sind als Milchmagd eingestellt worden. Haben Sie Erfahrung mit dem Melken?«
»Ja«, log Lil und kreuzte heimlich die Finger.
»Prima.« Er gab einem schwarzen Mädchen ein Zeichen. »Hier, hilf der jungen Frau mit dem Koffer. Wie heißen Sie mit Vornamen?«
»Lil.«
»Prima, Lil. Mercy zeigt dir dein Quartier. Heute Abend fängst du mit dem Melken an.«
Sie nahmen einen Pfad, der im Bogen um das Herrenhaus herum und zu einer offenen Weide führte, auf der friedlich Kühe grasten. Dann gingen sie an einem langen Zaun entlang, vorbei an imposanten Nebengebäuden an der Rückseite des Hauses, immer weiter und weiter …
»Nicht mehr weit«, sagte Mercy und schwang Lils Koffer in der Hand.
Das Mädchen war hager, hatte strähniges Haar und trug den üblichen Baumwollkittel, der den »Haus-Schwarzen« zustand. Doch es strahlte Selbstvertrauen aus, als wüsste es, dass es einen festen Platz im Leben besaß. Lil beneidete Mercy ein wenig.
Endlich tauchte vor ihnen ein langgestrecktes, mit Schindeln gedecktes Gebäude auf, unter dessen Vordach eine Reihe von Türen zu erkennen waren. Lil
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