Liberty: Roman
den Operationssaal bringen und dein Bein brechen. Um es richtig anzulegen.«
Ich muss einen weiteren Monat im Krankenhaus bleiben. Mein Körper verschwindet. Ich bin satt, aber der Arzt sagt, ich hätte Hunger.
Ich spüre alles, was mit dem Essen passiert, vom Schlucken bis zu dem Moment, wenn es mein Arschloch wieder verlässt, jeden einzelnen Vorgang: die Passage durch ein besonderes Stück Darm und vorbei an einem Rest Narbengewebe; alles ist so deutlich für mich wie für andere die Berührung einer Hand auf der Haut.
Zwei Wochen später stehe ich auf und versuche, an Krücken zu laufen. Der Magen bekommt Migräne, wenn ich mich bewege. Möglicherweise kommt der Gips in zwei Monaten ab – sie sagen, ich würde wieder gehen können.
Die Heilung schreitet voran. Ich muss den Oberkörper trainieren, weil mich das Liegen geschwächt hat. Sie bringen mich in die Physiotherapie, Lektionen zwischen Eisenstangen: Ich gehe fünfmal hin und zurück und schwitze fürchterlich. Wirklich? Bin ich es wieder? Später bewege ich mich mit einer Gehhilfe. Nachts kann ich nicht schlafen. Ich stehe auf, um mit meiner Gehhilfe auf den leeren Korridoren zu üben. Ich kann durch das ganze Krankenhaus gehen. Die Israelis haben es gut gebaut – viele Laubengänge, Galerien, Innenhöfe, Wände aus Hohlziegeln und luftige Strukturen; trotzdem ist die Luft voll mit Desinfektionsmitteln, Krankheit, Medizin und fauligem Fleisch.
ZION
»Du hast durch einen Zufall überlebt«, sagt mzee Kinabo. Ich bin seine Versuchsratte gewesen; er hat mich zerschlagen und versucht, mich überleben zu lassen. Katriina ist gekommen, um mich abzuholen. Nur die Wade und der Fuß sind noch in Gips, und ich habe meine Krücken. Es ist ein Segen, an die Luft und in die Sonne zu kommen, einfach dazustehen und ohne Desinfektionsmittel und Fäulnis zu atmen. Ich klettere ins Auto. Der Toyota ist mein Zion Train. Sie startet: Ein Knurren mit Vibrationen, dann ist er am Leben. Durchs Fenster schlägt mir die Luft entgegen, und die Sonne erleuchtet eine Welt, die nach Benzin und dem Waschmittel von Katriinas Kleidern riecht; der saubere Duft einer Frau, Staub, die menschliche Freude am Leben – ein ganz großes Glück.
»Lass uns eine Cola trinken«, sagt Katriina. Wir fahren zu einem Kiosk an den Unterkünften der Krankenschwestern. Ich bleibe mit offener Autotür sitzen, sie holt die Cola. Und dann sehe ich den Schornstein des Leichenschauhauses des KCMC ; eigentlich sollte er weiß sein, so wie der Rest des Krankenhauses, aber aus der Öffnung fließt Ruß – schwarz. Ein toter Mann ist dort im Schornstein, und eigentlich sollte ich oder zumindest mein Bein dort verbrannt werden, aber ich komme hier als ganzer Mann heraus, mit meinem Bein. Mir fehlt nur ein Stück Magen und ein wenig Darm, nichts Besonderes.
Doch die Welt wird nie müde, auf die Kleinen einzudreschen. Daheim mit zusammengewachsenen Beinknochen, doch wie sieht mein Ghetto aus? Ausgeraubt von Dieben: meine Kleidung, viele meiner Kassetten, meine Jacke und sogar die fantastischen neuen Unterhosen von Tante Elna, alle drei. Wer war das? Soll ich etwa den Leuten die Hose herunterziehen, um den Dieb zu finden? Ich kann nicht einmal laufen. Und die Polizei rufen? Sinnlos. Ich habe die Sachen verloren. Sie sind weg. Die Polizei schreibt nur einen Bericht; sie würden nicht einmal kommen und sich ansehen, was passiert ist. Und ich bin arm, ich habe keine Versicherung.
»Ich wollte es dir nicht erzählen«, sagt Claire. »Sonst hättest du dir nur noch mehr Sorgen gemacht.«
»Das macht nichts«, sage ich. Claire ist gut zu mir gewesen. An der Tür hängt ein riesiges Vorhängeschloss, wie in einem Gefängnis; ich schließe es ab, auch wenn ich nur zur Toilette muss. Ich schleiche mich in das große Haus, wenn ich mal einen Ton hören möchte, denn die Boombox wurde verkauft, um Medizin zu kaufen. Mein Zimmer ist nahezu leer, ich muss zurück in die Tretmühle, um das Problem zu lösen. Ich vermisse meine Musik und meine wunderbaren Unterhosen. Aber ich werde kämpfen, denn das Überleben ist fantastisch, Dank und Ruhm dem allmächtigen Jah. Mein Ghetto ist ohne Musik, aber voller Glück.
Solja kommt zu mir. »Wenn wir in Schweden sind, kaufen wir ein Segelboot.« Stolz zeigt sie mir schwedische Zeitschriften mit Fotos von großen, schicken Booten.
»Sind die nicht sehr teuer?«
»Das weiß ich nicht. Vater sagt, wir können es uns leisten.« Sie hüpft vor Begeisterung. »Dann machen wir
Weitere Kostenlose Bücher