Liberty: Roman
beste Chance ist mitten in der Nacht, aber dann wird er sauer. Aber wenn Sie seine Nummer haben möchten, können Sie es gern versuchen.«
»Kannst du ihm nicht schreiben?«
»Schon, aber das kann mehrere Wochen dauern, bis der Brief dort ankommt. Wenn er überhaupt ankommt.«
»Also habt ihr … gar keinen Kontakt?«
»Hören Sie … was glauben Sie, warum ich hier bin, während er in Afrika und meine Mutter in Genf ist? Das liegt daran, dass sie ein Scheißinteresse an mir haben.«
»Hast du keinerlei Einkünfte?«
»Nein«, antworte ich.
Die Sozialarbeiterin legt mir ein Papier vor und gibt mir einen Kugelschreiber. Ich unterschreibe auf Treu und Glauben. Ich bekomme etwas Geld. Ich gehe zum Arbeitsamt und werde erfasst: arbeitslos. Sie geben mir eine Pappkarte, die ich alle vierzehn Tage abstempeln lassen muss. Okay. Eine Woche später kommt der Brief der Schule: Man schmeißt mich raus, wenn ich nicht erscheine.
Anders hat wieder Schwarzarbeit beschafft – noch einmal Isolierungen mit Glaswolle und Splitter in den Händen.
»Am Freitag findet in der Schule eine Fete statt«, erzählt er. »Kommst du mit?«
»Ich würde gern die beiden großen Lautsprecher und das Mischpult mit dem Verstärker klauen, das im Musikraum steht.«
»Ja? Die Sachen braucht man nur durchs Fenster heben.«
»Eben. Aber ich muss jemanden haben, der auf der anderen Seite steht und sie annimmt. Und mir hilft, sie wegzutragen. Außerdem habe ich keine Ahnung von der Alarmanlage.«
»Wie willst du denn in den Musikraum kommen?«, grinst Anders. Er will wissen, ob ich die Sache im Griff habe. Habe ich nicht.
»Glaubst du nicht, es ist bei einer Fete offen? Vielleicht brauchen sie die Anlage?«
»Nein«, sagt Anders. »Aber ich habe einen Generalschlüssel.«
»Echt?«
»Ich habe ihn im Büro des Hausmeisters mitgehen lassen.«
»Okay.« Ich nicke. Er ist clever. »Aber was ist mit dem Alarm – diese Metalldrähte an den Fenstern?«
»Die sind bei einer Fete abgeschaltet«, erklärt Anders. »Sonst würde es ständig klingeln. Es gibt so viele Schüler, die Blödsinn machen und Türen öffnen, die eigentlich geschlossen bleiben sollen, das ist kein Problem.«
»Hilfst du mir? Und nimmst die Sachen am Fenster an?«
»Na, klar. Selbstverständlich. Aber du wirst sie annehmen. Die haben dich jetzt nämlich ein paar Wochen nicht gesehen, und plötzlich läufst du bei einer Fete auf den Fluren herum? Nein, du bist zu verdächtig. Ich reiche die Sachen heraus und helf dir beim Abtransport.«
»Super, Anders. Das ist klasse.«
»Aber …«, sagt er.
»Aber was?«
»Was willst du damit? Willst du einen Übungsraum einrichten, oder was?«
»Ich gehe nach Tansania.«
»Ernsthaft?«
»Ja.« Ich erzähle ihm meinen Plan. Kopiergeschäft und Disco mit Marcus in Moshi.
»Kann man davon leben?«
»Ja. Ein kleines Haus mieten, mich nur um mich kümmern – das gute Leben.«
»Ich komm dich dann gern mal besuchen«, sagt Anders und entwickelt seinen Plan. Ich soll mich nicht beim Sozialamt abmelden. Man wird nur alle Vierteljahre zu einem Gespräch einbestellt. Das Arbeitsamt hat man mit seiner Pappkarte alle vierzehn Tage aufzusuchen, aber das kann Anders in meinem Namen erledigen. Wenn ich direkt nach einem Gespräch auf dem Sozialamt abfliege, kann ich drei Monate Sozialhilfe bekommen, während ich weg bin. Anders kann das Geld von meinem Konto abheben, ein Drittel behalten und den Rest in Travellerschecks wechseln und nach Moshi schicken.
»Was willst du mit deinem Drittel machen?«, frage ich ihn.
»Auf das Flugticket sparen.«
»Wenn du das machst«, verspreche ich, »dann bezahle ich dort unten sämtliche Ausgaben, überhaupt kein Problem.«
»Abgemacht.«
Es geht glatt. Anders hebt die Sachen aufs Fensterbrett, ich nehme sie draußen an. Trage das Mischpult, ein Tonbandgerät, einen Plattenspieler und die beiden Lautsprecher in ein Gebüsch am Ende des Geländes. Ich warte bis halb fünf morgens – dann fahre ich mit dem Fahrrad zum Gymnasium, hebe das Mischpult auf den Gepäckträger, befestige es und schiebe das Fahrrad nach Hause. Das Rad wackelt unter dem Gewicht. Ich verstaue das Mischpult unter meinem Bett. Vier Fahrten, um den Rest nach Hause zu bringen. Jetzt habe ich die Ausrüstung. Jetzt muss ich sie nur noch nach Tansania schaffen.
Rock Café in der Jomfru Ane Gade. Anders ist schon gegangen. Ich bin angetrunken und habe keine Lust mehr, hier zu sein. Trete auf die Straße. Die Nacht ist kalt. Harte,
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