Liberty: Roman
natürlich Kaffee und eine Zigarette. In Swahilitown habe ich einen frisch gepressten Passionsfrucht- und Karottenjuice getrunken, im Shukran Hotel, das von ein paar Somaliern betrieben wird. Gutes Essen, billig – ein Ort zum Abhängen. Aber jetzt ist es halb zwei, und die Garküche schließt um zwei. Ich würde am liebsten bei der mama hinter dem Kaufmann essen, denn sie hat gute Chapati, leckeren Basmatireis mit geriebener Kokosnuss und eine gute Soße mit Rindfleischstücken. Meine Augen würden allerdings lieber in dem Laden hinter Tanesco essen, obwohl das Essen schlecht ist. Ich gehe dorthin. Entdecke Rogarth, der an einem Tisch sitzt, bleibe stehen und sehe mich um. Ja, Rachel ist da. Heute trägt sie eine schwarze Gabardinehose mit Nadelstreifen, ein schwarzes T-Shirt und Flip-flops. Sie sieht cool aus. Sexy.
»Na, wie geht’s, Schwester?«, frage ich, als sie mich sieht. Und sie lächelt, glücklich und verlegen zugleich. Ich bestelle, sie ist mit der Bedienung der anderen Gäste beschäftigt. Ich setze mich zu Rogarth, der beinahe aufgegessen hat. Rachel kommt mit meinem Essen. Abgesehen von Maisgrütze mit Bohnen, die ich nicht mag, gibt es nur noch Pilaf.
»Bitte sehr«, sagt sie.
»Danke.« Sie bleibt stehen und sieht mich an.
»Magst du ihn?«, erkundigt sich Rogarth.
»Vielleicht«, antwortet Rachel und geht. Rogarth grinst. Er hat ein paar Dinge zu erledigen und muss gehen, aber wir verabreden, uns später zu treffen. Ich würde gern mit ihm über die Disco-Branche sprechen, darüber, wo er die besten Möglichkeiten sieht. Ich esse. Nach dem Mittagessen wird die Garküche geschlossen, und auch Rachel bekommt nun einen Teller – mit dem, was noch übrig ist. Sie geht zu dem entferntesten Tisch, der im Garten unter einem Baum im Schatten steht. Sie setzt sich, um zu essen. Marcus hat mir erzählt, dass Rachel aus der Region Tanga an der Küste kommt; er hat es an ihrem Akzent gehört. Aus dieser Gegend kommen die höflichsten und fleißigsten Mädchen, sagt er. Sie bekommen die Kellnerinnen-Jobs in Moshi, obwohl es sehr viele arme Mädchen in Moshi gibt, denen es an Arbeit fehlt. Ich zünde mir eine Zigarette an, bezahle bei der mama und gehe zu Rachels Tisch. Sie sitzt schräg am Tisch, mit den Füßen auf einem anderen Stuhl. Sie isst weiter – ihr Essen besteht überwiegend aus Reis und Bohnen –, als ich meine Hand auf der Stuhllehne platziere und mich vorbeuge.
»Warum sitzt du hier, wenn ich dort drüben sitze?«
»Ich weiß nicht«, antwortet sie. »Ich dachte nur, du wolltest allein sein.«
»Hast du etwas dagegen, wenn ich mich setze?«
»Nein.«
»Das ist gut«, sage ich und setze mich. »Wo wohnst du?«
»Unten in Majengo.« Die elende Vorstadt, in der Rogarth auch wohnt.
»Mit deiner Familie?«
»Bei meiner Tante und ihrer Tochter.«
»Tanzt du?«, frage ich sie.
»Ja.«
»Das Liberty ist wieder geöffnet, gehst du am Wochenende hin?«
»Ist das da unten auf der anderen Seite des Kreisels?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht«, antwortet sie. Ich halte mich zurück.
»Ich weiß es auch noch nicht so genau. Möglicherweise habe ich in Arusha etwas zu erledigen, vielleicht komme ich erst Samstag ins Liberty.« Das ist richtig, aber es ist auch … sie wartet nur darauf, dass ich sie frage, wo sie wohnt und ob ich sie abholen kann. Dann würde sie okay sagen, und wir würden zusammen ins Liberty fahren. Und zusammen tanzen. Und dann … die Konsequenzen sind gewaltig, und Marianne … Marianne landet bald.
Meine Handflächen schwitzen, als ich morgens in der Mountain Lodge in der Nähe von Arusha anrufe – die Besitzerin und Betreiberin ist Micks Mutter. Eine Frau nimmt den Hörer ab und redet Englisch mit einem schwachen dänischen Akzent. Sie heißt Sofie.
»Are you Danish?«, frage ich sie.
»Nein, ich bin aus Grönland«, antwortet sie auf Dänisch.
»Okay. Hej. Ich heiße Christian und suche Mick – wir sind zusammen auf die ISM gegangen.« Sie teilt mir mit, Mick würde am Nachmittag zurückkommen. Ich gehe zur Arusha Road und warte auf einen Bus. Die Busse sind bereits voll, wenn sie die Busstation verlassen, unterwegs werden trotzdem noch mehr Menschen hineingestopft. Ich stehe den ganzen Weg, aber das ist allemal besser, als mit einer alten Massaifrau auf den Schenkeln zu sitzen und den Rest des Tages nach Kuhscheiße, Schnupftabak und geronnenem Blut zu riechen.
An der Abzweigung zur Mountain Lodge steige ich aus und gehe den Feldweg zwischen den hohen Bäumen
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