Licht (Gone) (German Edition)
Tyrann sei, der alle nur herumschubse. Albert ignorierte ihn.
»Ihr könnt euren Familien noch einmal winken und dann Abmarsch.«
Die Kids setzten sich tatsächlich in Bewegung. Zuerst nur ein paar, dann immer mehr. Draußen zogen sich die ersten Angehörigen zurück. Viele unter Tränen.
Die Fernsehkameras blieben. Sie schwenkten auf Albert. Im Vergleich zu den anderen war er eine beeindruckende Erscheinung. Nicht besonders groß, aber in sauberen und frisch gebügelten Kakihosen und einem makellosen rosafarbenen Hemd von Ralph Lauren.
Albert zog ein zehn Zentimeter langes Röhrchen aus seiner Tasche, schraubte es auf und ließ eine Zigarre herausgleiten. Mit einer kleinen Klinge aus Chrom zwickte er ein Ende ab, dann steckte er sich die Zigarre zwischen die Lippen, zündete sie mit einem zur Klinge passenden Gasfeuerzeug an und stieß paffend den Rauch aus.
In diesem Moment wusste Albert zwei Dinge. Erstens, dass seine Schilder und das Bild von ihm, wie er hier stand – kerzengerade und in der Rolle des arroganten Geschäftsmannes –, um die Welt gehen würden.
Und zweitens, dass sein feiger Rückzug von diesem Moment an vergessen war und er, falls er die FAYZ lebend verlassen sollte, noch vor dem College steinreich sein würde.
Wie so vieles in der FAYZ waren auch Fahrräder längst ein Luxusartikel. Die meisten waren im Laufe der ersten Wochen entweder willkürlich zerstört worden oder beispielloser Blödheit zum Opfer gefallen.
Dahra erinnerte sich an einen Jungen, der schwer verletzt zu ihr gekommen war, weil er mit dem Rad durch ein Fenster fahren wollte. Und an einen anderen, der dachte, er könnte damit vom Dach seines Hauses abheben. Lana wollte die beiden zuerst gar nicht heilen, weil sie nicht bereit war, ihre Zeit an Vollidioten zu verschwenden.
Dazu waren die unvermeidlichen Platten gekommen, gerissene Ketten und andere kleine Pannen sowie die Tatsache, dass Teile gestohlen und ganze Räder zerlegt wurden, um sie zu Schubkarren umzufunktionieren.
Dahras Rad, das sie unter einer Plane in ihrer Garage versteckt hielt, war also eine absolute Rarität. Und es war bis auf die platten Reifen noch völlig intakt.
Die Suche nach einer Pumpe hatte Dahra den Großteil des letzten Tages gekostet. Inzwischen machte sie sich Sorgen, zu spät zu kommen und das Treffen zwischen Astrid und Connie Temple vermasselt zu haben. Aber hey, das hier war die FAYZ und nicht die Welt, in der man seine Eltern bloß lange genug belabern musste, damit sie einen herumchauffierten und man noch rechtzeitig irgendwohin kam. Sie würde ihr Bestes tun. Mehr war nicht drin.
Als die FAYZ passierte, hatte sich der Highway in einen gespenstischen Autofriedhof verwandelt. Überall standen und lagen demolierte Fahrzeuge herum, manche waren willkürlich in Brand gesteckt und auf ihre Stahlskelette reduziert, wieder andere von den Kids auf der Suche nach Nahrungsmitteln und Drogen und Alkohol in ihre Bestandteile zerlegt worden. Die Batterien der Autos waren längst leer, das Benzin in den Tanks verdampft oder abgesaugt.
Dahra wich den Wracks aus und schlängelte sich an den Trümmern und den Müllbergen vorbei. Die Strecke zum See war die weiteste, die man in der FAYZ zurücklegen konnte. Zu Fuß hätte sie den ganzen Tag dafür gebraucht. Auf dem Rad ging es zwar schneller, auf den Straßen und Pisten war es aber auch weiter.
An der Abzweigung zum Kraftwerk hatte sie die Hälfte des Weges geschafft. Rechter Hand bog eine Straße ins Santa Katrina Gebirge ab, die steil anstieg. Hier musste sich Dahra füreine von zwei Möglichkeiten entscheiden. Wenn sie in der Ebene blieb, würde sie auf einer holprigen und auf dem Rad schwer zu bewältigenden Piste weiterfahren. Nahm sie hingegen die Straße durch den Stefano Rey Nationalpark, wäre diese zwar asphaltiert, dafür aber auch anstrengender – zumindest war sie ihr so beschrieben worden. Andererseits verliefe die Strecke im Schatten.
Ihr war jetzt schon heiß und auch sonst ließ ihre Kondition sehr zu wünschen übrig. Seit einem Jahr lebte sie im Keller des Rathauses, dem sogenannten Krankenhaus, las dicke medizinische Wälzer und war rund um die Uhr im Dienst.
Da Lana nicht immer gleich zur Stelle war, hatte sie sich selbst beigebracht, wie man einen Verband anlegte, Knochenbrüche schiente und Wunden vernähte. Gezwungenermaßen hatte sie sich auch ein wenig mit Zahnmedizin beschäftigt. Zumindest so weit, um mit einer Spitzzange und einem eisernen Griff Backenzähne
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