Licht und Dunkelheit
vom anderen Ende her.
»In der Tat, Mylady, kann ich Euren Wunsch nachempfinden«, erwiderte Levarda, die fieberhaft überlegte, was sie sagen sollte. Sie konnte nicht lügen, musste also so nahe wie möglich bei der Wahrheit bleiben. »Der hohe Lord litt nach dem Fest an Übelkeit, und Lord Otis bat mich, ihm mit meinen Kräuterkenntnissen zu helfen.«
Inzwischen wusste jeder am Hof, dass Levarda sich mit Kräutern auskannte, so war es ungefährlich, darüber zu sprechen. Aber wie erklärte sie den Schnitt? Tapfer wagte sie sich weiter vor.
»Wie Ihr wisst, ist Lord Otis sensibel, wenn es um den hohen Lord geht. Er legte mir ganz plötzlich das Messer an den Hals, als ich mich ihm näherte. Ich erschrak, und so passierte es durch meine eigene Unachtsamkeit.«
»Es muss furchtbar schmerzhaft gewesen sein.« Mitfühlend legte Serafina ihre Hand auf Levardas.
»Es ist jedenfalls keine angenehme Erfahrung.« Sie sah das zufriedene Lächeln von Hamada und hoffte, dass die Fragerei ein Ende hätte.
»Geht es Gregorius wieder gut?«
Lady Smira sprach gern den Namen ihres Gemahls ohne seinen Titel aus und zeigte dadurch ihre Machtstellung bei Hofe.
»Ich nehme es an. Ich bekam ihn später nicht mehr zu Gesicht.«
Endlich ließen die Frauen sie essen.
Kaum verließ sie danach den Raum, hörte sie, wie das Getuschel losging. Sie hoffte, dass ihre Geschichte glaubwürdig genug war.
Adrijana hatte ein Bad für sie vorbereitet. Dankbar gab Levarda sich dem heißen Wasser hin und nickte ein. Die Magd weckte sie später, half ihr beim Abtrocknen und Ankleiden.
Im Zimmer unter dem Turm wartete Lord Otis auf sie. Er saß am Schreibtisch, vertieft in Papiere. Als sie eintrat, hob er kurz den Kopf und forderte sie ungeduldig auf, näherzukommen.
»Ihr wolltet mich sprechen, Lady Levarda, aber bitte fasst Euch kurz, ich habe heute einen engen Zeitplan. Habt Ihr eine Lösung für unser Problem gefunden?«
Er hatte wieder seinen üblichen Befehlston an sich und die tiefen Falten im Gesicht. Auch das Spiel seiner Kiefermuskeln war zurück. Die Vertrautheit von ein paar Stunden zuvor war einfach verschwunden.
»Das nicht, aber ich weiß, wo ich darüber Informationen finden kann.«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ihr macht mich neugierig.«
»Sicher erinnert Ihr Euch noch an die Bücher, die ich in der Kiste fand, nachdem Ihr mir diese so großzügig zur Verfügung stelltet?«
»Ich habe sie alle gelesen, aber ich sehe nicht, wie uns das weiterhelfen soll.«
Wenigstens sagte er diesmal ‚uns‘ und schob die Lösung des Rätsels nicht ihr allein zu.
»Die Bücher wurden für eine Frau geschrieben, Mylord, nicht für einen Mann«, umschrieb Levarda mit geschickten Worten ihre Auffassung, dass er etwas übersehen haben musste. Sie hielt ihn nicht für kritikfähig.
Ein flüchtiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Tut mir leid, aber ich kann sie Euch nicht zur Verfügung stellen.«
»Ich brauche nur das letzte Buch«, beharrte sie auf ihrem Standpunkt.
»Gerade das letzte Buch enthält Dinge, die Euch nichts angehen.«
Sie atmete scharf ein und seufzte. »Ich weiß, dass Sendad der leibliche Sohn Larisans ist, falls es Euch darum geht, das zu verbergen.«
»Woher wisst Ihr das?« Seine Stimme schnitt mit erschreckender Schärfe durch die Luft, aber Levarda hatte mit einer heftigen Reaktion gerechnet.
»Sendad hat es mir erzählt, als er mit mir am See war.«
»Ihr lügt. Er weiß es selbst nicht.«
»Aber er weiß, wer sein Vater ist.«
Er zögerte, schluckte schwer, bevor er sprach.
»Wie kommt es, dass Euch die Menschen so vieles erzählen?«
Sie lächelte. »Ich bin eine ausgezeichnete Zuhörerin. Bei Gelegenheit könnt Ihr Euch davon überzeugen. Es wird Euch das Gewissen erleichtern.«
»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.«
»Das mit dem Gewissen erleichtern oder mit dem Buch?«
»Mit dem Buch.«
Die Zeit verging und nichts tat sich. Sie erfuhr über Adrijana, dass Lord Otis nach Hause gereist war und hoffte, dass er das Buch holen würde.
Einige Tage später wurde sie in den Abendstunden von Sendad abgeholt. Wieder verband er ihr die Augen und führte sie durch die Gänge der Garde.
Der hohe Lord lag mit Hose, nacktem Oberkörper und einer Art weitem Mantel auf einer Chaiselongue. Es waren dieselben Offiziere anwesend wie das letzte Mal, die Diener ebenfalls. Der hohe Lord machte diesmal einen munteren Eindruck, und Levarda fragte sich, was ihm Lord Otis erzählt
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