Licht und Dunkelheit
schlief. Sie nutzte den Schatten und die Lücken zwischen den wachenden Männern, bis sie einen kleinen Baum fand, an den sie sich lehnen konnte. Aus der Tarnung heraus wandte sie ihr Gesicht dem Mond zu, genoss seine geheimnisvollen Kräfte, die sie anzogen und abstießen wie in einer Wellenbewegung. Sie verlor sich ganz in der Faszination dieses Gefühls.
Dann fühlte sie Kälte an ihrem Hals. – Eine Klinge. Levarda erstarrte.
»Ihr seid äußerst geschickt«, vibrierte seine Stimme an ihrem Rücken, als Lord Otis ihr ins Ohr sprach.
Sie wagte nicht, sich zu bewegen.
»Dennoch werde ich morgen die Wachen für ihren Mangel an Aufmerksamkeit bestrafen müssen.«
Die Klinge wurde zurückgezogen. Er setzte sich ihr gegenüber auf den Boden. Sein Antlitz lag im Schatten, während auf ihrem der Mondschein ruhte. »Was sucht Ihr hier draußen?«
»Ich konnte nicht schlafen bei dem Mondschein.« Ihre Stimme war brüchig vor Panik, die sie noch gefangenhielt. Sie spürte seinen Blick, der über ihr Gesicht wanderte. Befriedigte es ihn, ihr Angst einzujagen?
Lord Otis langte in seinen Umhang und zog einen Apfel heraus, den er ihr reichte. Sie nahm ihn entgegen. Machte er ihr ein Friedensangebot? Eine kurze Prüfung mit ihren Sinnen – sie konnte an dem Apfel nichts feststellen. Sein Duft ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Mahlzeiten fielen für ihre Bedürfnisse zu klein aus, doch wollte sie mit einer Forderung nach mehr Verpflegung nicht die Proviantplanung durcheinanderbringen. Zwei-, dreimal war sie versucht gewesen, Gebrauch von ihrem Bogen zu machen oder wenigstens um ihren Lagerplatz herum nach Beeren und essbaren Wurzeln zu suchen. Ihr Magen knurrte.
Herzhaft biss sie in die Frucht. Das Innere des Apfels war süß, fruchtig und knackig. So wie sie es liebte. Voller Genuss ließ sie sich Zeit beim Kauen. Sie hörte auch Lord Otis in einen Apfel beißen. Eine Weile durchbrach nur ihr leises Schmatzen die Stille.
Schließlich fasste sich Levarda ein Herz.
»Ihr solltet die Männer nicht bestrafen. Sie können nichts dafür«, wagte sie sich vor. Der Gedanke, dass Menschen ihretwegen leiden mussten, widersprach ihrer Natur.
»Entweder Euch oder die Wachen«, sagte er gelassen.
»Dann mich«, antwortete sie leise.
Er schwieg, hörte mit dem Kauen auf. »Also gut, Ihr werdet die nächsten zwei Tage in der Kutsche reisen.«
Levarda schloss die Augen und nickte. »So sei es.«
Sie aß den Rest vom Apfel. »Ich möchte Euch danken.«
»Wofür?« Seine Stimme verriet ihr, dass er genau wusste, wovon sie sprach. Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken, wie er seine Macht über sie genoss. Nie hatte sie sich einem Mann gegenüber so hilflos gefühlt. Hatte sie sich bereits so weit von ihrem früheren Leben entfernt?
»Ihr erlaubt mir das Reiten auf Sita«, sagte sie schlicht.
»Oh, das«, er warf den Rest seines Apfels weg. »Nun, in gewisser Weise muss ich Euch danken. Immerhin habe ich eine wunderbare Stute für meine Zucht erhalten.«
Für den Bruchteil einer Sekunde wollte sie ihm an die Gurgel springen, egal, welche Konsequenzen das nach sich zog, aber sie besann sich. Er provozierte sie.
Niemals dürft Ihr auf einen Feind reagieren. – Seid immer diejenige, die agiert.
So hörte sie die Worte aus Larisans Buch der Kriegskunst in ihrem Kopf. Sie lockerte ihre Körperhaltung, zwang sich zu lächeln.
»In diesem Fall, Lord Otis, schuldet Ihr mir das erste Fohlen von Eurem Hengst und meiner Stute.«
Er stand ohne einen Kommentar auf.
Zwei Tage in der Kutsche lagen vor ihr. Sie ging voran ins Lager, bedacht darauf, dass sie die schlafenden Männer nicht weckte. Im Gegensatz zu Lord Otis, der sich nicht einmal den Anschein gab, rücksichtsvoll zu sein.
Erst in ihrem Zelt wurde Levarda bewusst, welchen entsetzlichen Fehler sie begangen hatte. Hier, in diesem Land, gab es keine Freundschaft zwischen Männern und Frauen. Sie hatte in leichtsinniger Weise ihren Ruf in Gefahr gebracht.
Angriff
D ie zwei Tage in der Kutsche krochen endlos dahin. Lady Smira und die Dienerinnen waren erschöpft und gereizt von der Enge und der ungewohnten körperlichen Anstrengung, die ihnen das ewige Rumpeln des Wagens bereitete. Die Lady jammerte über ihr furchtbares Aussehen, den Staub in ihrem Gesicht, der ihre Haut ruinierte, den Gestank, der sich langsam breitmachte.
Verwundert hakte Levarda nach, weshalb sich die Frauen nicht an den Rastplätzen gewaschen hatten. Allein der Pferde wegen wurde das
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