Licht und Dunkelheit
machte.
Im Burghof unter ihr herrschte geschäftiges Treiben. Zwei Schmiede hatten ihre Feueressen im Betrieb, Pferde wurden neu beschlagen, Schwerter und Helme ausgebessert. Den Blick auf das Hier und Jetzt gerichtet, schweiften Levardas Gedanken in die Vergangenheit. Ob Larisan einst an diesem Platz gesessen hatte wie sie? Ein wunderschöner Sitzplatz. Sie konnte über die Mauern hinaus in das Land hineinsehen. Die Wälder begannen hinter einer freien Fläche, die sich kreisrund um die Burgmauern zog. Zu Hause in Mintra lebten die Menschen in den Bergen und Wäldern, die einen in Höhlen, die anderen in den Bäumen. Der Blick auf die Bäume beruhigte ihren Geist. Ob Larisan dasselbe gefühlt hatte? Oder überwog der Schmerz, in die Weite zu sehen, so dicht an dem Wald, und ihn doch nicht berühren zu können? Würde es ihr selbst bald genauso gehen? Levarda vertiefte sich erneut in die Aufzeichnungen und vergaß die Welt um sich herum.
Es kam, wie es kommen musste. Gedrängt von einer schlechten Ernte und Larisans Weigerung, ihm einen Sohn zu schenken, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Liebenden. Larisan gab ihrem Liebhaber die Schuld an der schlechten Ernte, weil er sich weigerte, auf ihren Rat zu hören.
Dann kam der Brief vom hohen Lord. Er bat Kilja, Vernunft anzunehmen und eine Lady aus dem Hause der Keralen zu heiraten. So würde das Land neue Verbündete gewinnen und Kilja könnte seine Stellung als Berater zurückerhalten. Er könne Larisan ja als Bettzofe weiterhin behalten.
Bei diesen Worten musste Levarda für einen Moment das Buch beiseitelegen, so heftig wallten ihre Gefühle in ihr hoch. Überhaupt überlief es sie bei dieser Lektüre abwechselnd kalt und heiß.
Kilja wagte einen letzten Versuch bei Larisan, und nach ihrer Abfuhr willigte er in die arrangierte Hochzeit ein. Die Wogen in der Gesellschaft glätteten sich um Lord Kilja. In den ersten paar Monaten schien sich sogar Larisan mit der Situation arrangieren zu können. Aber dann gewann die Ehefrau nicht nur immer mehr Kiljas Gunst, auch Larisans Tochter Gunja vergötterte die herrschaftliche Dame. Entzückt von dem anziehenden Geschöpf zeigte diese wiederum dem Mädchen, was für Eigenschaften eine Lady brauchte. Bald imitierte Gunja sie perfekt. Ihr Vater bestärkte seine Tochter in ihrem Bestreben, und darüber kam es eines Nachts zu einem furchtbaren Streit zwischen Larisan und Kilja. Er endete mit einem Feuer, entfacht von der Wut Larisans, das die Hütten der Dienerschaft in Brand setzte. Erschüttert von dem Zorn und der Macht ihrer Mutter flüchtete Gunja endgültig zu der Frau ihres Vaters. Das brach Larisan das Herz.
Drei Diener verloren bei dem Brand ihr Leben. In dieser Nacht packte sie ihre Habseligkeiten, schnitt sich die Haare ab, kleidete sich in Männersachen, nahm ein Pferd aus dem Stall und verschwand.
Tränen stahlen sich aus Levardas Augen.
Schmerz brannte aus jeder einzelnen Zeile. Unschuldige Menschen hatten ihr Leben verloren, weil Larisan ihre Macht einsetzte. Das durfte niemals passieren. Wer sich in Mintra eines solchen Vergehens schuldig machte, musste sich der Reinigung unterziehen. Levarda hatte davon nur gehört, es bedurfte des gesamten Rates der Ältesten und bedeutete vier Tage qualvoller Schmerzen. Danach war die Fähigkeit, sein Element zu benutzen, für immer verloren. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Leben anfühlen musste. Jetzt verstand sie, warum es für Larisan keinen Weg zurück nach Mintra gegeben hatte. Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie Adrijanas Stimme vernahm.
»Ihr habt den ganzen Tag nichts gegessen, Ihr seid stumm, interessiert Euch weder für die Kleider, die ich Euch nähe, noch kümmert ihr Euch um Euer Aussehen.«
Adrijana trat zu ihr ans Fenster, und hastig wischte Levarda sich die Tränen aus den Augen.
»Es wird bald Zeit, und ich möchte doch, dass Ihr zum Abendessen mit dem Herrn hübsch ausseht«, setzte das Mädchen hinzu. Levarda ließ sich vom Sims ziehen.
Die Sonne stand so tief, dass das Licht zum Lesen sowieso nicht mehr reichte. Außerdem fühlte Levarda sich wie gelähmt von all der Traurigkeit, über die sie gelesen hatte. Eine Tochter, die ihre Mutter nicht liebte. Ein Mann, dessen Liebe nicht ausreichte, um die Frau zu nehmen, wie sie war. Eine Frau, die nicht die Kraft fand, sich zu ändern, weder für ihre Tochter, noch für den Mann, den sie liebte. Diese Liebe, für die sie ihr Land verlassen, alles,
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