Licht und Dunkelheit
mit den Sinnen. Mehr und mehr verlieren unsere Töchter dieses Gespür. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, ein Buch zu schreiben …«
Levarda ließ sich in den Text hineinziehen. Vor ihrem inneren Auge sah sie eine gestrenge alte Frau, die sich über die Unfähigkeit der Mädchen ärgerte.
Sie spürte, wie ihre Erregung ihr Hitze in die Wangen trieb.
»Ihr scheint Euch mehr für Bücher zu interessieren als für Euer äußeres Erscheinen.«
Levarda flog die Niederschrift aus der Hand, aber sie fing sie geschickt im letzten Moment kurz über dem Boden ab.
»Es ist beleidigend, wie leicht Ihr meine Anwesenheit vergesst, Mylady«, erklärte er unwirsch.
»Verzeiht, ich wollte nicht unhöflich sein, doch Ihr wart so vertieft ins Schreiben, dass ich Euch nicht stören wollte.«
Sie sah ihn an. Sein Gesicht hatte sich verschlossen, aber nicht verfinstert. Sie konnte nur hoffen, dass sie sich die Chance auf die Geschichte nicht verspielt hatte. Sie richtete sich in dem Stuhl auf, straffte die Schultern, legte das Buch in ihren Schoß und faltete die Hände darüber. Die Strähne hing in ihrem Gesicht. Hastig schob sie sie in die hochgesteckten Haare zurück. Er nahm sie in Augenschein. Sie ärgerte sich, dass sie nicht wenigstens auf die Frisur geachtet hatte.
»Ihr wolltet mich sprechen, Mylord?«, begann sie wieder, um ihn von seiner Musterung abzulenken.
Lord Otis hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Arme auf die Lehnen aufgestützt, die Finger beider Hände gespreizt gegeneinander gelehnt. Seine Augen ruhten auf ihr.
»Ja.«
Er schwieg. So saßen sie sich gegenüber.
»Verzeiht, Mylord«, setzte sie erneut an, »Ich möchte nicht ungeduldig erscheinen, aber ich würde gern in mein Gemach gehen und ein Bad nehmen. – Worüber, bitte, wolltet Ihr mit mir sprechen?«
»In mein Gemach, Mylady.«
Angesichts des verärgerten Untertons sah sie ihn verwirrt an. War das der Grund für dieses Gespräch? Wollte er seinen Raum zurück, nachdem sie den Geheimgang entdeckt und seine Nutzung abgelehnt hatte?
Sie neigte höflich den Kopf zur Seite. »Mylord, wenn Ihr Euer Zimmer zurückhaben möchtet – es macht mir nichts aus.«
Mit einer Handbewegung schnitt er ihr das Wort ab. »Man hat mir berichtet, dass Lady Smira unpässlich sei und Eure Hilfe angefordert hat.«
»Das ist richtig.« Levarda war auf der Hut. Aufmerksam beobachtete sie seine Gesichtszüge, die sich nicht verändert hatten.
»Ist es etwas Ernstes?«, hakte er nach.
»Nein.«
Er hob die Brauen, doch Levarda wusste beim besten Willen nicht, worauf er hinauswollte. Sein Gesicht verzog sich missmutig, da sie nicht weitersprach.
»Eine weibliche Angelegenheit? Sollten wir den Hochzeitstermin verschieben?«, konkretisierte er seinen Gedankengang für sie.
Erleichtert atmete sie aus. »Ach so. Nein, Mylord, es ist alles in Ordnung. Sie hat gestern Abend lediglich zu viel Wein getrunken.«
»Oh, dann werde ich in Zukunft darauf achten, dass die Lady nicht so viel trinkt.«
»Es reicht, Mylord, wenn Ihr die Diener anweist, ihr nicht in den halb vollen Becher nachzuschenken. Werden dabei noch interessante Gespräche geführt, ist es für eine Frau einfach schwer, den Überblick zu behalten.«
Innerlich schnaubte sie, denn sie wusste, dass der gestrige Abend genau so verlaufen war, wie ihr Gegenüber es geplant hatte.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Levarda machte Anstalten, sich zu erheben. »Wenn das alles wäre?«
»Setzt Euch.«
Sie zog ihre Augenbrauen hoch, um ihrer Gereiztheit Ausdruck zu verleihen. Sicherheitshalber seufzte sie tief, für den Fall, dass er nicht so viel Feinsinn besaß, ihre Gesichtszüge zu lesen.
»Morgen breche ich mit Egris und Timbor zur Festung des hohen Lords auf. Ihr Frauen werdet mit Sendad und Lemar hierbleiben.« Er machte eine Pause. »Ich muss einiges auf der Festung umorganisieren, nicht zuletzt, da mit einer zweiten Lady auch dort nichts gerechnet wird. Ich kehre vor der Hochzeit nicht mehr zurück. Meine beiden Offiziere werden die Braut zu ihrem Bräutigam begleiten. Bitte richtet das Lady Smira aus.«
»Ich richte es ihr aus, Mylord.« Levarda grübelte, warum er ihr das sagte. Wollte er ihr damit nochmals erklären, dass sie die Chance zur Flucht ergreifen sollte? Ein anderer Gedanke kroch in ihr hoch. Interessiert beugte sie sich zum Tisch. »Darf ich Euch eine indiskrete Frage stellen, Lord Otis?«
Er betrachtete sie eingehend, aber Levarda hielt seinem Blick stand.
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