Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
unpersönliche Stimme, die durch den Beatmer drang, in einem seltsamen Kontrast zu den intimen Einzelheiten aus ihrem täglichen Leben stand, die sie Li erzählte. Doch sie erkundigte sich nach keinen Details aus Lis Leben. Aus ein paar kleinen Anmerkungen, die sie hier und da fallen ließ, schloss Li, dass sie eine Menge wusste. Aber es war nur Zeug, das jeder, der regelmäßig die Spinvideo-Kanäle verfolgte, hätte herausfinden können. Nichts Persönliches. Nichts Gefährliches.
    Während Mirce erzählte, wurde Li klar, dass Mirce mit ihren Worten keine Brücke zwischen ihnen baute, sondern
eine Mauer errichtete. Welche gemeinsamen Wege sie in der Vergangenheit auch immer gegangen sein mochten, schien Mirce zu sagen, Lis Leben war jetzt ein fremdes Land, aus dem keine Straße zu Compsons Planet zurückführte. Sie hatten damals, in jener Vergangenheit, an die sich Li nicht mehr erinnerte, eine Entscheidung getroffen. Das Leben eines Vaters für ein paar Arztbesuche. Lis alte Zukunft für eine neue, bessere Zukunft. Und Mirce lebte in einer Welt, in der es keinen Platz für Bedauern und Wiedergutmachung gab.
    Als Mirce sie schließlich an der Treppe verließ, die in den Trinidad hinunterführte, wusste Li, dass sie recht hatte. Es gab keine Heimkehr. Seit dem Moment, als sie damals den Body-Shop betreten hatte, gab es kein Zuhause mehr, in das sie hätte zurückkehren können.
     
    Sie spürte die Kristalldruse, lang bevor sie sie erreichten. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatten die Kondensate geschlafen, wurde ihr klar, unruhig geschlafen. Jetzt waren sie hellwach.
    Quantenströme schossen durch das dunkle Bergwerk, suchten, tasteten, stellten Fragen. Spürst du sie auch?, fragte Cohen.
    Sie wunderte sich nicht, warum er fragte; sie konnte ihn fühlen, spürte den Schaden, den die Kristalle seinen allzu zerbrechlichen Netzwerken zufügten. Als ob der Geist, der sie kontrollierte, nach etwas suchte. Oder nach jemandem.
    Wir brauchen uns keine Gedanken zu machen, wie wir für Korchow die Verbindung aufbauen sollen, sagte Cohen, bevor sie den Gedanken in Worte kleiden konnte. Sie haben es schon für uns getan.
    In einem allerletzten Versuch, den Angriff der Kondensate abzuwehren, hatte er all seine Systeme heruntergefahren, und für einen Moment staunte sie, dass er überhaupt
über das Intraface sprechen konnte. Aber eigentlich sprach er ja gar nicht, oder? Die Verbindung zwischen ihnen ging über verbale Verständigung hinaus. Und wenn sie ihm antwortete, formte sie einfach nur einen eigenen Gedanken, an dem Cohen in ihr Anteil hatte.
    Was sollen wir tun?, dachte sie, und die Antwort kam, noch bevor sie die Frage gedacht hatte.
    Wir lassen sie eindringen.
    Dann nahm sie nur noch Licht wahr, das sich von der Dunkelheit abhob, und hatte das verwirrende Gefühl, dass Cohen sich vor sie stellte, mit der hoffnungslosen Tapferkeit eines Kindes, das ein kleineres Kind zu beschützen versuchte.
    Es war, als ob sie auf einen Tsunami warteten. Die Welle türmte sich auf, brach und fegte über sie hinweg. Dann waren sie mittendrin, und der kochende Sog zerrte an ihren Knien und Knöcheln, drohte sie umzureißen, durchnäßte sie bis auf die Haut und brachte sie in Gefahr, auf dem rutschenden Sand unter ihren Füßen den Halt zu verlieren.
    Nach dem ersten Überfall erforschten die Kristalle sie etwas behutsamer. Sie bewegten sich in Wahrscheinlichkeitsverteilungen, langgezogenen Spiralen von Quantenoperationen, so elegant und unverständlich wie die gewundenen Zahlenreihen in Sharifis Notizbüchern. Aber es steckte etwas hinter den Gleichungen. Eine einzige Präsenz. Eine Präsenz, die Cohen an Komplexität im selben Maße übertraf, wie Cohen die halbbewusste KI auf Alba übertroffen hatte. Li fühlte, wie sie dachte, überlegte. Und vor allem fühlte sie eine beunruhigende Faszination für Cohen. Für die verwickelte Vielschichtigkeit dieses seltsamen neuen Nicht-Tiers. Für das, was er war. Für das, wofür man ihn benutzen konnte.
    Es ist das Bergwerk, dachte Cohen. Es will uns verstehen. Uns schmecken.

    Aber es wollte mehr, als sie nur zu verstehen. Mehr, als sie zu schmecken.
    »Hört du es?«, rief Bella, die offenbar nichts von dem Kampf um Leben und Tod mitbekam, der über das Intraface ausgefochten wurde. »Hörst du es nicht? Sie singen!«
     
    Hitze. Dunkelheit. Ein verwirrend schnelles Gehen und Kommen. Dann stand Li wieder, wo sie zuvor gestanden hatte, und schaute sich in der Kristalldruse

Weitere Kostenlose Bücher