Liebe auf den ersten Klick
nur das Gesicht dafür. Pony oder kein Pony? Stufen oder keine Stufen?
»Hi. Viv?« Eine pummelige Frau mit halb herausgewachsenem Haaransatz steht mit einem Frisierumhang in der Hand vor mir. Ich hoffe inbrünstig, dass es nicht Mandy ist, denn sie sieht aus, als könnte sie mal wieder eine Dusche brauchen.
»Ja.« Ich lächle.
»Hi, ich bin Mandy, deine Stylistin heute.«
»Super.« Ich schlüpfe in den Umhang und folge ihr zu einem Platz vor einem großen Spiegel. Sie beginnt, an meinen Haaren herumzuzupfen, hebt sie an, lässt sie wieder fallen, schiebt sie mir ins Gesicht und wieder heraus.
»Also, was wollen wir machen?«, fragt sie. Ich hasse es, wenn Friseure mir diese Frage stellen. Meiner Meinung nach sollten sie mir sagen, was sie mit mir anstellen wollen. Sie sollten mich ansehen und etwas wie »Weich fallende Stufen, aber nicht zu stark durchgestuft, damit von der Länge nichts verloren geht« vorschlagen. Na ja, andererseits auch wieder nicht, weil das mein Standardspruch ist. Ich versuche, ihn auch diesmal anzubringen, aber sie hat mir das Haar ins Gesicht gestrichen und meinen Kopf nach unten gedrückt, sodass mein Kinn auf meiner Brust liegt. Das wird schon. Immerhin sitze ich im besten Salon der Stadt , sage ich mir. »Du hast so viele Haare!« Ich versuche, den Kopf zu heben. »So unglaublich viele Haare.« Sie drückt meinen Kopf zuerst auf die eine, dann auf die andere Seite. »Und unglaublich dicke Haare.« Allmählich habe ich das Gefühl, als wäre das etwas Schlimmes, als gäbe es eine gesetzlich vorgesehene Maximalmenge oder so was.
»Und was sollten wir deiner Meinung nach damit machen?«, presse ich schließlich hervor.
»Willst du bei der Länge bleiben?« fragt sie. Ich nicke. Sie zieht hörbar die Luft ein. »Also, hier ist es ziemlich schwer …« Sie legt die Hände auf meine Schläfen und drückt zu. »Viel zu schwer, deshalb hängen die Haare auch so runter. Da ist überhaupt keine Bewegung drin, außerdem ist es völlig platt.«
»Stimmt.« Mir war auch nicht bewusst, dass ich Bewegung im Haar haben sollte.
»Wir könnten es oben ein bisschen ausdünnen, die Längen beibehalten und ein paar Lowlights reinma chen, damit das Haar ein bisschen Struktur bekommt.« Ich stimme ohne zu zögern zu – aus purer Erleichterung, dass ich offenbar doch kein hoffnungsloser Fall bin. Sie verschwindet, um die Farbe anzurühren, während mich ein Anflug von Niedergeschlagenheit überfällt. Bestimmt hat Robs neue Freundin keine Problemhaare, sondern eine seidige, babyweiche und nach frischen Früchten duftende Mähne. Wieso muss ich bloß so dickes Haar haben? Ich habe meinen Vater ja nie kennengelernt, aber bestimmt habe ich das ihm zu verdanken. Im Geiste verwünsche ich meine Mutter, weil sie sich von einem Kerl mit Wildschweinborsten hat verführen lassen. In diesem Moment schickt Lucy mir eine SMS:
»Lust auf einen Drink?«
»Ja, aber ich bin gerade noch beim Friseur.«
»Gut. Ruf an, wenn du fertig bist.«
Sehr gut. Das bedeutet, ich kann ihr später meine neue Frisur präsentieren. Mandy kehrt zurück und fragt, was ich trinken möchte. Ich bestelle einen Weißwein, dann sehe ich zu, wie sie in Windeseile einzelne Haarsträhnen in Folie einpackt. Auf den zweiten Blick ist Mandy gar nicht so übel. Ich meine, sie muss gut sein, sonst würde sie wohl kaum hier arbeiten. Ich lasse den Blick über all die reich aussehenden Blondinen schweifen, die ringsum verschönert werden, und entspanne mich ein wenig.
»Wollen die Kunden eigentlich immer von dir wissen, wohin du in den Urlaub fährst, Mandy?«, frage ich.
»Nein.«
»Ah. Ich habe mich schon immer gefragt, was an dem Klischee dran ist, dass die Leute beim Friseur ständig über Urlaub reden.«
»Nein.« Sie sieht mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost.
Wahrscheinlich muss sie sich viel zu sehr auf ihre Arbeit konzentrieren, um plaudern zu können. Offenbar ist sie ein Vollprofi. Sie rollt einen Heizstrahler heran und schaltet ihn ein, worauf er um meinen mit Alufolien bestückten Kopf rotiert wie die Ringe um einen Planeten. »Wir lassen die Farbe ein bisschen einwirken. Ich bin in ein paar Minuten wieder da. Möchtest du noch etwas trinken?«
Ich bestelle noch ein Glas Wein und betrachte mein Gesicht im Spiegel, um zu sehen, ob es schon schmaler geworden ist. Seit Montag habe ich die Nahrungsaufnahme drastisch eingeschränkt und glaube, ansatzweise meine Wangenknochen erahnen zu können, wenn ich den Kopf leicht zur
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