Liebe auf den ersten Klick
geduldig, als rede sie mit einer kompletten Vollidiotin. »Außerdem waren das vorläufig alle Ideen, aber ich gebe Bescheid, wenn ich Hilfe brauche.«
Ich sehe ihr ins Gesicht, suche nach einem winzigen Rest der alten Christie, aber Schnuti hat sie offenbar durch einen Androiden ersetzt.
Den restlichen Morgen verbringen wir damit, die Kollektion zusammenzustellen. Christie drückt sich um alles, was ich an sie zu delegieren versuche, mit dem Argument, sie müsse sich auf ihr »eigenes Ding« konzentrieren. Allmählich geht sie mir wirklich auf den Keks, deshalb bestehe ich darauf, dass sie die skandinavischen Knastbrüder-Kerzen übernimmt und sich um die Klä rung der Ethikfrage kümmert, während ich mich mit den restlichen zehn Produkten beschäftige. Es wird mir guttun, weil es mich von meinem Kummer ablenkt. Ich werde arbeiten wie ein Tier, geradezu heldenhaft. Die anderen werden staunen. Ein Tagtraum von Rob und mir während unseres letzten Sizilienurlaubs schiebt sich, honigüberzogen und wunderschön, in mein Gedächtnis, ehe er auf dem harten Boden der Realität aufprallt und zerplatzt wie eine Seifenblase. Die Realität heißt: Arbeit … und eine Verabredung mit dem gruseligen, unheimlichen Michael.
Die Aufzugtüren gehen auf. Da steht er, mit einstudierter Pseudo-Coolness gegen einen der Pfeiler in der marmornen Eingangshalle gelehnt, und wippt mit seinem Bein. Bei seinem Anblick überfällt mich das dringende Bedürfnis, wie ein erschrecktes Reh an ihm vorbeizustürzen und in der Masse der Pendler auf dem Heimweg abzutauchen, doch stattdessen trete ich heraus und gehe langsam auf ihn zu. Seine umherflitzenden Augen erfassen mich, doch er tut, als hätte er mich nicht bemerkt. Was für ein komischer Vogel. Mittlerweile wippen beide Beine. Schließlich sieht er sich beiläufig um, tut so, als hätte er gar nicht damit gerechnet, mich hier zu sehen, beugt sich vor, packt mich beim Ellbogen und haucht Luftküsse neben meine Ohren. Der schwache Geruch nach Gemüse und Gewürzen steigt mir von sei nem Hemdkragen in die Nase. Schließlich lässt er von mir ab und nickt in Richtung Ausgang, ohne mir in die Augen zu sehen. An der Drehtür kommt es zu einem verlegenen Gerangel, dann stehen wir nebeneinander im selben Segment und trippeln schweigend vorwärts, bis wir in die abendliche Geschäftigkeit hinauskatapultiert werden.
»Wohin gehen wir denn, Michael?«, erkundige ich mich fröhlich.
»Mike.«
»Entschuldigung … Mike.« Er starrt mit zusammengekniffenen Augen geradeaus, als müsse er ein Schlachtfeld inspizieren, ehe er sich umdreht und in die entgegengesetzte Richtung späht.
»Zuerst trinken wir was im O’Malley’s, hab ich mir überlegt«, erklärt er mit einem zufriedenen kleinen Laut, ehe er sich mit raschen Trippelschritten in Bewegung setzt. Ich muss beinahe rennen, um mit ihm Schritt halten zu können. Ein Glück, dass ich flache Schuhe trage – seine Augen befinden sich etwa auf der Höhe meiner Kehle. Von der Seite betrachte ich sein Rattenschwanz-Bärtchen.
»O’Malley’s. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich schon mal dort war.«
»Glaub mir, das hättest du nicht vergessen.« Er kichert leise.
Ich starre auf den Bürgersteig, auf meine Sandalen und seine zerschrammten Slipper. Wir bewegen uns gegen den Strom und müssen uns durch die Passanten kämpfen. Ab und zu weicht er auf die Bürgersteigkante aus und marschiert vorwärts, ohne sich nur ein einziges Mal zu vergewissern, ob ich immer noch hinter ihm bin. Wenigstens kommt auf diese Weise nicht der Eindruck zustande, als wären wir zusammen unterwegs. Eine seltsame Mischung aus Beklommenheit und Grauen, gewürzt mit einem Hauch Neugier, erfasst mich. Ich hatte heute Abend ohnehin nichts Besseres vor, sage ich mir, zudem ist es wichtig, ab und zu mal seine eigene Behaglichkeitszone zu verlassen – zumindest steht das in Die innere Freiheit – Finde deinen eigenen Weg. Außerdem hat er mir einen Riesengefallen getan. Als wir uns wieder auf dem Bürgersteig befinden, beschleunige ich meine Schritte und trete neben ihn.
»Und, Mike, wie sieht die Website denn nun aus?«
»Ganz gut.«
»Ich kann es kaum erwarten, sie zu sehen.«
Er wirft mir einen argwöhnischen Blick zu, als hätte er Angst, ich könnte versuchen, ihn auszutricksen. Wieder verfallen wir in Schweigen und gehen nebeneinanderher, bis wir zu einem schwarzen Treppengeländer und einer Betontreppe gelangen, die zu einer hölzernen Tür hinunterführt. Er
Weitere Kostenlose Bücher