Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Erwähnung Adrians hinweg. Obwohl sie strikt dagegen war, dass Clarissa sich mit Mombray einließ, war sie andererseits klug genug, ihn oder seine Familie nicht offen zu brüskieren. Die Montforts hatten immerhin eine Menge gesellschaftlichen Einfluss – oder zumindest Isabel Montfort, Lady Mowbray. Sonst hätte Lydia ihm vermutlich längst geradeheraus erklärt, dass er die Finger von Clarissa zu lassen habe.
»Ja, ist er«, meinte Lady Mowbray eisig. Vermutlich war sie sauer, weil Lydia ihren Sohn mit keinem Wort erwähnte, tippte das Mädchen.
»Ein charmanter junger Mann«, plapperte Lydia nichts ahnend weiter. »Er hat Clarissa neulich zu einer Kutschfahrt durch den Park eingeladen.«
»Das ist mir bekannt.« In Lady Mowbrays Stimme schlich sich Belustigung. Clarissa gewann den Eindruck, dass die ältere Dame wusste, dass Reginald sie lediglich zu seinem Sohn gefahren hatte. Trotzdem war sie baff, als sie das Nächste hörte. »In der Tat hat Reginald so von ihr geschwärmt, dass seine Schwester, also meine Nichte, Clarissa gern kennenlernen möchte.«
»Oh, das wäre reizend«, gurrte Lydia. »Clarissa hat hier in London kaum Freundinnen. Ein netter Bekanntenkreis würde ihr sicher guttun.«
Clarissa kaute auf ihrer Lippe herum. Von wegen netter Bekanntenkreis. Die clevere Lydia liebäugelte garantiert damit, in die allerbesten Kreise aufzusteigen, wenn sich ihre Stieftochter mit Reginalds Schwester anfreundete. Mary Greville zählte zu den Spitzen der Gesellschaft. Wer mit ihr befreundet war, gehörte automatisch mit dazu.
»Umso besser«, versetzte Lady Mowbray. »Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ich Ihre Tochter kurz entführe. Sie könnten währenddessen Lady Devereaux behilflich sein.«
»Entführen?«, wiederholte Lydia alarmiert. Clarissa zog eine Schnute, ihr war klar, welche Katastrophen Lydias Gehirnwindungen durchzuckten. Clarissa könnte stolpern, Sachen umwerfen, irgendwo anecken oder mit irgendwem zusammenstoßen – und es wie üblich vermasseln.
»Ja. Mary hat sich heute Morgen den Fuß verstaucht und muss ihr Bein hochlegen. Deshalb werde ich Clarissa zu ihr bringen. Da freut sich Mary bestimmt«, verkündete Lady Mowbray aufgeräumt und fasste Clarissa am Arm. »Die Mädchen werden sicher viel Spaß haben. Sie können sich in der Zwischenzeit nützlich machen, indem Sie Lady Devereaux helfen.«
Offensichtlich hatte Lydia ihren Vorschlag beim ersten Mal nicht mitbekommen. Jetzt fragte sie verunsichert: »Ich soll Lady Devereaux helfen?«
»Ja«, säuselte Lady Devereaux. »Ich habe gehört, Sie sollen einen ausgezeichnete Gastgeberin …«
Den Rest des Satzes bekam Clarissa nicht mehr mit. Lady Mowbray scheuchte sie von den beiden fort und durch die Flügeltüren in die Halle. Das Mädchen schwieg unschlüssig. Was sollte sie auch großartig sagen? Sie kannte Lady Mowbray nicht und rätselte, was die Dame mit ihr vorhatte.
Immerhin hatte Adrians Mutter es geschafft, sie von Lydia loszueisen. Und das war eine reife Leistung, vor allem seit dem Abend, als ihre Stiefmutter sie im Park erwischt hatte. Adrians Mutter hatte völlig überzeugend argumentiert und nichts dem Zufall überlassen … War die ganze Sache von vorn bis hinten geplant?, fragte Clarissa sich, und wenn ja, zu welchem Zweck?
»Wir sind da«, verkündete Adrians Mutter fröhlich. Sie öffnete eine der Türen, die von der Eingangshalle abgingen, und schob das Mädchen ins Innere.
Clarissa betrat das Zimmer und blieb stehen. Kurzsichtig blinzelte sie durch den Raum, bis ihr Blick an einer zartrosa Erscheinung hängen blieb, die in einem Sessel vor dem Kamin saß. Sie lächelte unschlüssig.
»Das ist Mary.« Lady Mowbray schloss die Tür hinter ihnen. »Mary, das ist Lady Clarissa Crambray.«
»Hallo Clarissa. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
Clarissa lächelte unsicher, verblüfft, dass sie tatsächlich Reginalds Schwester kennenlernen sollte. Sie räusperte sich und murmelte: »Das mit Ihrem verstauchten Knöchel tut mir aufrichtig leid.«
»Och, das mit meinem Knöchel war bloß ein Vorwand«, räumte Mary kichernd ein. »Ich hab bloß so getan, als wäre ich umgeknickt. Morgen früh werde ich wie durch ein Wunder wieder genesen sein.«
Clarissa wünschte, sie könnte das Mienenspiel der beiden Frauen erkennen. Seit sie ihre Brille nicht mehr hatte, wusste sie unangenehm genau, wie viel Mimik und Gestik zu einer Unterhaltung beitrugen.
Offenbar blieb den beiden ihre Unsicherheit nicht
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